Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
anzusehen. Ein halbes Dutzend Pfleger beiderlei Geschlechts drängte sich um sie, wobei keiner allzu viel Lust auf eine Auseinandersetzung mit jemandem verspürte, der kein Insasse war und vielleicht über die Geldmittel verfügte, um eine gerichtliche Klage anzustrengen. Zwei andere Angehörige des Stanger-Personals lagen auf dem Boden und rangen offenbar miteinander.
Ich konnte jetzt die Stimmen hören – jedenfalls einige –, die den Hintergrundlärm übertönten.
»Sie töten ihn! Sie bringen ihn um!« Das war Pen, schrill und drängend.
»– habe eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und den anderen Insassen des Heims, und ich lasse mich nicht unter Druck setzen, etwas …« Das war Webb mitten in einem Satz, der schon seit einiger Zeit im Gange war und so bald sicher nicht enden würde.
Aber als ich mich in die Gruppe drängen wollte, wurde er abgebrochen, als ein Körper durch die Türöffnung geflogen kam und mit einem dumpfen, satten Laut gegen die gegenüberliegende Flurwand prallte, ehe er auf den mit Teppich bedeckten Fußboden stürzte. Das Gesicht war nach oben gewandt, so dass ich ihn erkennen konnte. Es war Paul, einer der Krankenpfleger und wahrscheinlich derjenige von den Angestellten, den ich am liebsten mochte. Er war bewusstlos, das Gesicht rot bis violett, und die Injektionsspritze, die aus seiner Hand rutschte, war durchgetrennt wie von einem Samuraischwert, so dass eine glasklare Flüssigkeit aus der sauber durchschnittenen Plastikampulle sickerte.
Jedermann starrte ihn mit unterschiedlich ausgeprägtem Staunen und Erschrecken an, aber niemand machte Anstalten, ihm zu helfen oder die Schwere seiner Verletzungen festzustellen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich zwischen den Gaffern hindurchzuschlängeln, und steuerte auf den freien Gangabschnitt vor der offenen Tür zu – das Niemandsland. Einer der beiden Pfleger, die Pen zurückhielten – es war der männliche –, wandte sich augenblicklich mir zu und legte mir eine schwere Hand auf die Schulter.
»Durchgang verboten«, verriet er mit drohender Stimme.
»Lassen Sie ihn!«, schnappte Webb. »Das ist Castor.«
»Oh, Gott sei Dank!«, sagte Pen, die mich zum ersten Mal sah. Sie warf sich in meine Arme, und ich drückte sie beruhigend. Gleichzeitig schaute ich nach unten und erkannte, dass die beiden Männer auf dem Fußboden gar nicht miteinander rangen, sondern der eine, der bei Bewusstsein war, schleifte den Bewusstlosen von der Tür weg und hinterließ dabei auf dem Teppichboden eine Blutspur, die von einer Wunde stammte, die ich nicht sehen konnte.
In Pens Augen glitzerten Tränen, als sie mich flehend ansah. »Fix, lass nicht zu, dass sie ihm etwas tun! Es ist nicht Rafi, es ist Asmodeus. Er kann nicht anders!«
»Das weiß ich. Es ist okay, Pen.« Ich legte in diese Worte so viel Überzeugungskraft, wie ich aufbringen konnte. »Ich bin jetzt da. Ich bringe alles in Ordnung.«
»Eine Angehörige meines Personals ist noch da drin«, klärte Webb mich auf und fiel Pen ins Wort, als sie wieder etwas sagen wollte. »Wir fürchten, dass sie tot ist, aber wir können nicht reingehen, um nachzuschauen. Ditko ist … rasend, in einem hypermanischen Zustand. Und wie Sie sehen können, ist er gewalttätig. Ich denke, wir müssen Gas einsetzen.«
Pen schrie bei dem Wort auf, und das überraschte mich nicht. Das Gas, von dem Webb sprach, war ein mildes Nervengift – ein Tabun-Derivat mit der Bezeichnung OPG .
Es wurde bei Porton Down für militärische Zwecke entwickelt, ist jedoch mittlerweile auf jedem Schlachtfeld der Erde gesetzlich verboten. Ironischerweise hat sich herausgestellt, dass es eine therapeutische Wirkung auf Alzheimerkranke entwickelt, wenn es in winzigen Dosierungen angewendet wird. Es blockiert den Zerfall von Acetylcholin im Gehirn und verzögert den Gedächtnisverlust. Dann fand jemand heraus, dass Zombies es in weitaus größeren Dosierungen benutzen können, um mehr oder weniger den gleichen Effekt zu erzielen – das Verlangsamen des unausweichlichen Zusammenbruchs ihres Geistes, in dem der Zerfall von Buttersäure elektrochemische Schwankungen in stinkenden Matsch verwandelt. Daher war der Einsatz des Gases im psychotherapeutischen Bereich erlaubt und wurde bei Toten und Untoten sogar empfohlen – ein Schlupfloch, auf Grund dessen sich die Bürgerrechtsanwälte der ganzen Welt wüste Schlachten vor Gericht lieferten. Die Tatsache, dass es eine beruhigende Nebenwirkung hatte, steigerte die
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