Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Finger auf die Grifflöcher und blies so leise wie möglich eine einleitende Tonfolge. Da Rafi mich bis zu diesem Moment vollkommen ignoriert hatte, hoffte ich, einigermaßen in Schwung gekommen zu sein, wenn er begriff, dass ich zugegen war. Aber schon beim ersten Flötenton wirbelte er zu mir herum. Von dieser Reaktion überrumpelt, verstummte ich unwillkürlich. Rafis bleiches, attraktiv asketisches Gesicht war angespannt, sein schwarzes Haar hatte sich zu schweißdurchtränkten Löckchen gekräuselt. Seine Augen – Pupillen, Augäpfel und alles andere – waren von einem derart intensiven Schwarz, dass sie sämtliches Licht aus dem Raum zu saugen schienen. Ich hatte diesen Effekt schon früher beobachtet, aber irgendwie war es dieses Mal schlimmer als bei allen anderen vorangegangenen Gelegenheiten. Es war, als brodelte diese Schwärze hinter Rafis Augen, jederzeit bereit, hervorzuquellen und mich zu verschlingen.
» CASTOR !«, dröhnte er mit einer Stimme, die lauter und rauer klang, als eine menschliche Kehle sie hervorzubringen vermochte. Es war eine Stimme, die sich wie das kreischende Luftansaugen einer Düsenturbine anhören. Für einen kurzen Moment wurde unter seinem Gesicht ein anderes sichtbar und drückte sich beinahe durch Schädel, Muskulatur und gerötete, zum Zerreißen gestraffte Haut. » ZU SCHÖN ! ZU VERDAMMT SCHÖN !«
Wenn er sich vor seinem Sprung nicht gespannt hätte, wäre das vielleicht der letzte Ton gewesen, den ich je hätte hören können. So hatte ich jedoch genügend Zeit, um mich fallen und zur Seite kippen zu lassen und außerhalb der Reichweite seiner zupackenden Finger zu gelangen. Gleichzeitig blies ich einen schrillen, modulierten Misston, mit dem ich schon früher bei Rafi eine nachhaltige und gewöhnlich unmittelbare Wirkung erzielt hatte.
Diesmal hingegen hätte ich genauso gut mit der Achselhöhle »God Save the Queen« spielen können. Er drehte sich in der Luft wie eine Katze und erwischte mich mit der Faust seitlich am Kopf. Zwar streifte er mich nur, aber für einen kurzen Moment erschien vor meinen Augen ein schwarz-weißes Flackern. Die Flöte rutschte aus meiner Hand und tanzte klappernd über den Boden in unerreichbare Ferne. Dann war Rafi gelandet, kam mit entschlossenen Schritten auf mich zu und grinste bis über beide Ohren. Pen drückte sich an die Wand, außer Sicht und unbemerkt, aber sie beobachtete genau, was geschah, und suchte eine Chance, um die Krankenschwester aus der Schusslinie zu schaffen. Ein toller Plan, auf jeden Fall besser als meiner. Ohne meine Flöte hätte ich alle Hände voll zu tun, überhaupt am Leben zu bleiben.
Ich wollte Rafi mit einem sorgfältig gezielten Boxhieb stoppen, doch er wischte meine Faust beiseite, ohne aus dem Tritt zu kommen. Sein Konter war vernichtend – seine offenen Hände, die Finger starr wie Stricknadeln, schossen so schnell vor, dass ich sie durch die Luft pfeifen hörte, ehe ich den Schmerz des Treffers spürte. Ich stolperte rückwärts, versuchte, so etwas wie eine Deckung aufzubauen, aber es war, als befände ich mich genau vor einer horizontalen Lawine. Ich stürzte rücklings in den Korridor, während Rafi auf meiner Brust hockte und die Hände um meinen Hals legte.
Ich blickte direkt in diese feuchtschwarzen Augen und sah dort kein Erbarmen. Ich lockerte seinen Griff, indem ich seine Handgelenke nach außen schlug, aber damit erzielte ich nicht die Wirkung, die ich mir erhofft hatte. Rafi ließ die Hände fliegen, so dass es mir vorkam, als wären sie an mehreren Stellen zugleich, und obgleich ich sie nach links und rechts weggedrückt hatte, blieben seine Hände mit nicht nachlassendem Druck um meinen Hals geklammert. Ich kämpfte verzweifelt darum, einzuatmen. Wenn ich atmen konnte, konnte ich auch flöten, sogar ohne mechanische Hilfe, aber daran war nicht zu denken. Er drückte fester zu, und in meinem Kopf brodelte die gleiche Dunkelheit hoch, die in den Augenhöhlen lauerte, in die ich hineinstarrte.
Über Rafis Schulter sah ich Pen auf mich zurennen. Sie packte Rafis rechten Arm und versuchte ihn wegzuzerren, aber er rutschte ihr irgendwie durch die Hände – vervielfachte sich und schien wieder an mehreren Stellen zugleich zu sein. Ein Ruck durchlief seine Schultern, und er wurde starr, während sein Kopf nach hinten zuckte und so hart gegen ihre Brust schlug, dass sie zurücktaumelte. Dann konzentrierte er sich wieder auf die wichtige Aufgabe, mich zu erwürgen.
Ich dürfte zwei
Weitere Kostenlose Bücher