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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Lieferwagen es gewesen war. Er hoffte, den Fahrer zu identifizieren und noch vor der Polizei an ihn heranzukommen. Zum Glück für beide erhielt er alle möglichen unterschiedlichen Antworten – Mother’s Pride, Jacob’s Biscuits, Metal Box Company Limited – und musste am Ende seine Bemühungen einstellen.
    Ich war damals sechs Jahre alt. In diesem Alter trauert man eigentlich nicht richtig, sondern man sitzt herum und versucht zu begreifen, was verdammt noch mal passiert ist. Irgendwie raffte ich, dass Katie tot war, aber was es mit dem Tod an sich auf sich hatte, darüber war ich mir nicht richtig im Klaren. Es war ein Übergang, eine Änderung des Zustands, aber wie lange er dauerte und wo man am Ende landete, schien zu variieren, je nachdem, wen ich fragte.
    Eines war sicher: Katie war nicht oben im Himmel bei Gott. An dem Tag, an dem sie beerdigt wurde, kam sie fünf Minuten nach Mitternacht in mein Zimmer und wollte zu mir ins Bett steigen – dort schlief sie normalerweise, weil wir nur ein Zimmer und zwei Betten für uns drei Kinder hatten. Ich war verstört wegen der breiten, blutigen Wunde an ihrer Stirn, ihrer zertrümmerten Schulter, ihrer vom Asphalt aufgeschrammten Körperseite, und sie ärgerte sich über mein Geschrei. Von da an ging es mit uns bergab.
    Meine Mum und mein Dad lebten sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auseinander, daher war von ihrer Seite nicht allzu viel Mitgefühl zu erwarten. Sie gingen mit mir zu einem Arzt, der meinte, Alpträume seien nach einem Trauma völlig normal – vor allem nach einem Trauma, das durch den Verlust eines Geschwisters ausgelöst wurde – und verschrieb große Mengen Beruhigungsmittel. Ich musste weiterhin alleine zusehen, wie ich damit fertig wurde.
    Und so fand ich heraus, dass ich ein Exorzist war.
    Nach zwei Wochen mit Katies nächtlichen Besuchen versuchte ich, sie zum Weggehen zu bewegen, indem ich die gesamte Skala abstoßenden Verhaltens durchspielte, das Sechsjährige an den Tag legen können. Katie reagierte nicht, sondern sah mich nur an. Aber als ich sang: »Build a bonfire, build a bonfire, put your sister on the top«, gab der stille, kleine Geist einen schluchzenden Laut von sich und begann zu flackern wie eine Glühbirne kurz vor dem Durchbrennen.
    Als ich sah, dass ich doch noch einen Treffer gelandet hatte, versuchte ich es weiter mit meinem kleinen Repertoire an Kinderliedern. Katie versuchte, mit mir zu reden, aber immer, wenn sie etwas sagte, konnte ich es wegen meines eigenen lärmenden Gesangs nicht hören. Als meine Eltern schließlich hereinplatzten, weil sich ihre Geduld erschöpft hatte, war sie verschwunden.
    Sie war verschwunden, und ich freute mich. Mein Bett gehörte mir wieder ganz allein. Ich war stärker als der Tod, und ich wusste, dass ganz gleich, was der Tod sein mochte, ich den Zauberstab hatte, der ihn jederzeit gefügig machen konnte – Musik. Das ganze Drum und Dran begann mich zu faszinieren. Indem ich alles Mögliche versuchte, stellte ich fest, dass Pfeifen besser als Singen war, und dass Querflöte oder Tin Whistle spielen am besten war. Jeder hatte da seine eigene Methode, aber Musik war der Kniff, der bei mir funktionierte.
    Es dauerte Jahre, bis ich wieder an das schüchterne, magere kleine Mädchen dachte, das aus keinem ersichtlichen Grund Gummibänder sammelte und sie miteinander verknotete und umeinanderwickelte, bis sie eine große, feste Kugel bildeten, und die ihr Mittagessen mit mir teilte, wenn ich meine eigenen Kartoffelchips und Sandwiches gegen
Twilight Zone
-Kaugummikarten eingetauscht hatte. Das war Jahre bevor ich mich fragte, wohin sie verschwunden war, als ich sie verscheuchte.
    Ich wuchs heran. Das tat auch mein Bruder Matthew. Wir hatten nie viel gemeinsam, und als wir älter wurden, schlugen wir total entgegengesetzte Richtungen ein. Er wechselte sofort von der Schule auf ein katholisches Seminar in Upholland – es war das gleiche, das auch Johnny Vegas besuchte, aber Matthew blieb dabei, während Vegas auf die Priesterweihe verzichtete, um Stand-up-Comedian zu werden. Andererseits wäre Matthew in dem Job völlig fehl am Platze gewesen, weil er einen derart verkümmerten Sinn für Humor hatte, dass er die
Goons
immer noch für lustig hielt.
    Ich ging nach Oxford, um Englisch zu studieren, stieg jedoch während meines zweiten Jahrs aus und fand auf undurchsichtigen und verschlungenen Wegen Zugang zum Exorzismus. Sechs oder sieben Jahre lang verdiente ich meinen Lebensunterhalt

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