Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
unvorbereitet. »Welches kleine Mädchen?«
»Als ich diese Wunde säuberte und versorgte, sprachen Sie von einem kleinen Mädchen. Und von einem Blutfleck. Ich konnte mir darauf keinen Reim machen, aber es klang ziemlich schlimm.«
Ja, dachte ich mit einem flauen Gefühl im Magen. Und vor Gericht würde es sicherlich noch übler klingen. »Nein«, sagte ich schroff. »Sie können nicht helfen. Was sie jetzt braucht, ist kein Arzt.«
Er war um den Tisch herumgekommen und nur ein paar Schritte von mir entfernt stehengeblieben. Seine Stirn war nachdenklich gerunzelt. Ich erkannte, dass dies nicht die Antwort war, die er hatte hören wollen. Es war eindeutig, dass er gerade überlegte, ob er nicht soeben einem Kindermörder geholfen und seine Hilfe angeboten hatte.
»Sehen Sie«, sagte ich, »das Mädchen ist – auf gewisse Weise – eine Klientin. Sie wissen doch, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, oder?«
»Nein. Tut mir leid. Das weiß ich nicht.«
»Ich bin Exorzist. Das Mädchen ist tot, und ich wurde engagiert – es klingt verrückt, aber es ist die Wahrheit –, um ihren Geist zu suchen.«
Der Mann nickte verstehend, als ergebe das für ihn einen Sinn. Aber dann dachte er ein wenig darüber nach und fand sofort die Ungereimtheiten. »Engagiert von wem? Wer stiehlt einen Geist? Wer möchte einen Geist zurückholen?«
»Wer ihn stiehlt? Wahrscheinlich ihr leiblicher Vater. Wer ihn zurückholen will, weiß ich nicht, denn diese Leute haben mir eine Menge Blödsinn erzählt. Vielleicht irgendwelche geisteskranken Satanisten. Aber ich werde weiter nach ihr suchen, weil ich glaube, dass sie in Schwierigkeiten ist.«
Der kleine Mann lachte freudlos. »In größeren Schwierigkeiten, als tot zu sein, meinen Sie?«
»Ja.« Laut ausgesprochen klang es seltsam, aber ich wusste, dass es zutraf. Ich erkannte, dass ich es schon seit einer Weile wusste – noch bevor Basquiat mir gezeigt hatte, wie Abbie gestorben war. »In größeren Schwierigkeiten, als tot zu sein.«
Der Arzt verarbeitete diese Information in unbehaglichem Schweigen. »Nun, ich hoffe, dass sich am Ende alles aufklärt«, sagte er schließlich mit dem Blick eines Mannes, der entschlossen war, sich wieder nur um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. »Sie sollten Ihren linken Arm eine Weile schonen. Solange der Muskel noch entzündet ist, können Sie sich leicht eine Verletzung zuziehen, zum Beispiel einen Muskelfaserriss.«
»Ich werde mich in Acht nehmen«, versprach ich und nahm Matts Autoschlüssel aus der Obstschale, in der Pen sie deponiert hatte.
»Möglich, dass Sie noch ein wenig unsicher auf den Beinen sind«, sagte der kleine Mann mit einem besorgten Stirnrunzeln. »Falls Sie Probleme haben, den Wagen zu lenken, sollten Sie anhalten und ein Taxi nehmen oder mit der U-Bahn fahren.«
Was seine Fürsorge betraf, wurde er mir allmählich ein wenig lästig. Ich hatte dem Mann einiges zu verdanken, aber ich hatte schon immer eine Abneigung gegen Belehrungen, Moralpredigten und Gesundheitstipps. »Keine Angst«, murmelte ich, während ich zur Tür ging. »Es ist der Wagen meines Bruders.«
Der Himmel verdunkelte sich zügig, viel zu schnell für den Frühling. Es war wie eine Nacht, die schon vor langer Zeit hätte enden müssen, die jedoch die Krater der Ewigkeit verstopft hatte und sich jetzt ins Tageslicht drängte. Entweder dies, oder ich hatte länger geschlafen, als ich annahm.
Die Türen von Saint Michael’s waren immer noch geschlossen und verriegelt, desgleichen das überdachte Friedhofstor. Das bremste mich für allenfalls zwanzig Sekunden. Das Tor selbst war eher ein schmückendes Beiwerk als ein echtes Hindernis und bot mir – so schwach ich immer noch war – genügend Vorsprünge und Griffe für Füße und Hände. Meine Landung auf der Friedhofsseite der Mauer war jedoch ein wenig unsanft, und ich stürzte auf die Hände und zog mir einige leichte Hautabschürfungen zu.
Ich ging an der Friedhofsmauer entlang, bis ich die Hintertür der Sakristei sehen konnte. Sie stand offen. Dann wagte ich mich hinaus ins Freie und ging darauf zu, wurde jedoch, ehe ich zehn Schritte zurückgelegt hatte, durch ein atemloses Kichern gestoppt. Ich erstarrte und schaute mich auf der Suche nach seiner Quelle um.
Ein Mann lehnte an der hinteren Friedhofsmauer. Sein Kopf hing auf die Brust herab. Er hatte langes, dünnes Haar und trug einen fleckigen Regenmantel. Er sah aus wie ein Betrunkener auf dem Nachhauseweg von der Kneipe
Weitere Kostenlose Bücher