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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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stünde und ginge herum. Er erinnerte mich an einen Spielzeugroboter, den ich als Kind besaß. Made in Honkong, wurde er von einem Uhrwerkmotor angetrieben, der bis zum Stillstand auslief, selbst wenn man den Roboter umwarf und er sich nicht mehr vom Fleck rühren konnte.
    Ich stand auf und stolperte zu dem Zombie hinüber. Ich stützte mich auf den Grabstein und schaute auf ihn hinab. Wenn der Schaden groß genug war, würde sein Geist sich nicht länger an sein totes Fleisch klammern. Aber es konnte noch längere Zeit dauern. Und so lange war er dort drin gefangen: geblendet, verängstigt, der unsterbliche Geist an das halb verweste Gehirn gefesselt und ständig bemüht, es wieder in Gang zu bringen.
    Ich hatte keine andere Wahl. Ich holte mit zitternden Händen die Tin Whistle hervor und setzte sie an die Lippen. Unsere kleine Rauferei zwischen den Grabsteinen hatte mir einen hinreichend präzisen Eindruck von seinem Wesen geliefert. Auf jeden Fall genug, um darauf aufbauen und anfangen zu können. Die Töne stiegen hinauf zum sich verdunkelnden Himmel, schwach und zögernd, aber belebt von einem unbeabsichtigten Vibrato. Der tote Mann starrte mich mit blicklosen Höhlen an, die einst seine Augen gewesen waren. Sein Mund öffnete und schloss sich und erzeugte eine Folge zusammenhangloser Laute, die dumpf mein Spiel untermalten, als versuchte er mitzusingen. Dann verstummte er, und welcher Funke auch immer ihn noch belebt haben mochte, zog sich endgültig aus ihm zurück.
    Ich wollte die Flöte wegstecken, überlegte es mir jedoch anders. Ich behielt sie spielbereit in der Hand und überquerte die Rasenfläche zur Sakristeitür.
    Sie hing nur noch an einer Angel. Ohne Susan Book, die sie ihr hätte aufschließen können, in Reichweite, musste Juliet sie einfach mit einem Fußtritt geöffnet haben. Als ich eintrat, überfiel mich die eisige Kälte, als sei ich durch einen Vorhang getreten, der zwar unsichtbar, trotzdem deutlich zu spüren war.
    Die Kirche war dunkel. Natürlich, was sonst. Licht hätte hier sowieso kaum eine Chance gehabt. Ich hatte keine Fackel und keine Lampe mitgebracht, da ich nicht wusste, ob mir beides genutzt hätte.
    Der Herzschlag war jetzt deutlich zu hören: eine langsame Geräuschfolge, die gegen meine Trommelfelle brandete wie Wellen, die gegen Felsklippen schlugen.
    Ich machte einen langsamen Schritt nach dem anderen, ließ die Füße über den Boden gleiten, anstatt sie zu heben, damit ich nicht über irgendetwas in der Dunkelheit stolperte und mich unsanft auf den Hintern setzte. Die kalte Luft war vollkommen still. Das Einzige, woran ich erkannte, dass ich das Ende des Querschiffs erreicht hatte und das größere Mittelschiff betrat, war der veränderte Klang der Echos, die meine Schritte erzeugten. Mein Arm stieß irgendwo an, und ein hallender Lärm erklang, als etwas zu Boden fiel und unsichtbare Objekte über den Boden rollten. Es war der Tisch, auf dem die Votivkerzen standen. Ich ignorierte dieses kleine Malheur und setzte meinen Weg fort.
    Etwa ein Dutzend Schritte weiter berührte meine Fußspitze etwas auf dem Boden. Ich ging vorsichtig auf die Knie hinunter und untersuchte seine Konturen ein wenig eingehender. Es war ein menschlicher Körper, der sich nicht bewegte.
    Ich musste jetzt die Flöte wirklich wegstecken, obgleich ich sie die ganze Zeit umklammert hatte wie ein Taucher seine Rettungsleine. Ich schob die Hände an Schultern und Knien unter den Körper und hob ihn hoch. Ich nehme an, ich hatte erwartet, dass Juliet schwer war, weil sie stets einen so starken Eindruck hinterließ. Das lag wahrscheinlich daran, dass ihre Körperlichkeit um vieles dichter und intensiver erschien als die anderer Personen. Andererseits durfte man nicht vergessen, dass ihr Körper aus etwas anderem als aus Fleisch bestand. Bei dieser Gelegenheit erschien sie fast gewichtslos.
    Während ich sie anhob, spürte ich, wie die Präsenz, die in den Steinen der Kirche wohnte, mir ihre allumfassende Aufmerksamkeit zuwandte. Kein Laut, keine Schwingung war in der stillen Luft wahrzunehmen. Sie teilte sich mir lautlos und mit unendlicher, rachsüchtiger Amüsiertheit mit.
    Ich kehrte mit schwankenden Schritten auf dem Weg zurück, auf dem ich hereingekommen war. Aber ich verirrte mich in der Dunkelheit und prallte gegen eine Wand. Dieser Wand musste ich folgen, stieß alle paar Meter mit der Schulter dagegen, um die Richtung nicht zu verlieren, bis ich an die Stelle kam, wo das Querschiff begann.

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