Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
schaute in das schwarze Nichts jenseits des trüben Lichtkreises, den die Kerze erzeugte, und wartete auf seine Entscheidung. Nach langem Schweigen ließ er den Arm sinken und legte die Pistole auf den Boden. Ich sah ihn wieder an. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Es war ein düsteres, mühsames Lächeln, dessen Anblick schmerzte.
»Du hast wirklich Mut, Castor«, sagte er.
Peace versetzte der Pistole einen Schubs, und sie rutschte auf dem Boden zu mir herüber. Sehr weit kam sie nicht. Der verrußte Zement war zu rau und uneben. Aber sie gelangte über die magische Grenzlinie, so dass ich sie eher erreichen könnte als er – vorausgesetzt, er konnte sich bewegen.
Ich stand auf, machte einen Schritt über die Pistole und kam zu ihm hinüber. Ich ging neben ihm in die Hocke, Abbie gegenüber, die auf der anderen Seite der Decke stand und uns schweigend beobachtete. Ich spürte ihre ernsthafte, stille Aufmerksamkeit wie eine Berührung kalter Fingerspitzen in meinem Nacken.
Peace blickte mir ins Gesicht, das von einer einzigen Kerze von unten beleuchtet ein wenig unheimlich ausgesehen haben musste.
»Du hast ja auch einen gewissen Ruf«, sagte er und ließ den Kopf nach hinten auf die zusammengerollte Jacke sinken, die ihm als Kissen diente. »Mal sehen, ob du ihm gerecht werden kannst.« Aus dieser Nähe betrachtet, sah sein Gesicht viel bleicher und erheblich leidender aus. Aber vielleicht war es auch nur so, dass er sich nicht mehr verstellte. Ein Schweißfilm auf seiner Stirn und seinen Wangen glänzte matt im Kerzenlicht.
»Was ist Ihnen zugestoßen?«, fragte ich.
»Du hast es ja schon gesagt. Diese Wer-Scheißer haben mich ein paar Meilen weiter eingeholt – entschuldige meine drastische Sprache, Abbie. Einen von ihnen erwischte ich mit einem Messer. Ein raffiniertes kleines Instrument, das ich in Algier gefunden habe, mit einer Silberbeschichtung auf der Schneide. Er wird für einige Zeit nicht sehr viel Spaß an seinem Leben haben. Aber ich musste ganz dicht an ihn heran, um ihn zu erwischen, und er …« Peace deutete auf sein ruiniertes Gesicht.
»Ist dies das Schlimmste?«, fragte ich.
»Nein«, murmelte er. »Das Schlimmste ist das hier. Schau mal weg, Abbie.«
Der Geist Abbie Torringtons schüttelte den Kopf, aber eher aus Protest, als dass sie sich weigerte zu gehorchen. Sie wandte uns den Rücken zu, wobei auch diesmal ihre Bewegungen völlig geräuschlos erfolgten. Sobald sie zur Wand blickte, schlug Peace die Decke zurück. Anfangs war es schwierig, genau zu erkennen, was sich vor meinen Augen befand. Für einen Moment sah es aus wie ein Muskelshirt aus den Siebzigerjahren mit einem verschlungenen Muster darauf. Dann erst erkannte ich, dass ich nacktes Fleisch vor mir hatte. Wenn auch nicht völlig nackt, denn sein Oberkörper war mit halb verheilten Wunden und mit abblätterndem Schorf und verkrustetem Blut bedeckt. Rot war die vorherrschende Farbe, aber ich sah auch gelbe Flecken dazwischen. Einige Wunden hatten sich bereits entzündet und fingen an zu eitern.
»Mein Gott«, stieß ich unwillkürlich hervor.
»Ja, sprich auf jeden Fall auch einen Segen darüber. Vielleicht hilft das sogar.«
Das war jedoch reines Wunschdenken. Religiöse Geheimrezepte entwickelten gelegentlich eine gewisse Wirkung gegen Dämonen und die Untoten, aber nur wenn sie von jemandem eingesetzt wurden, der aufrichtig an sie glaubte. Ein Gebet von mir wäre in etwa genauso nützlich gewesen wie die kleinen Klebemarken mit dem Jesusbild darauf, die gewöhnlich in der Sonntagsschule an fleißige Kinder verteilt wurden. Die Royal Mail akzeptierte sie nicht als Briefmarken, daher wurde die betreffende Nachricht auch nicht weiterbefördert.
»Sie brauchen keinen Segen«, klärte ich Peace auf. »Sie brauchen einen Arzt.«
Peace drehte sich von mir weg, um den Geist seiner Tochter anzublicken. »Abbie«, brummte er streng, »wage bloß nicht, heimlich zu gucken – was wir hier machen, ist kein Spiel.«
Dann wandte er sich wieder zu mir. »Keinen Arzt«, sagte er heftig, versuchte sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht richtig. »Du hast keine Ahnung, womit du es zu tun hast. Jeder Notruf wird aufgezeichnet – ebenso jeder Anruf in einer Arztpraxis. Selbst wenn du jemanden finden solltest, der hierherkommt und keine Fragen stellt, würde er sofort Bescheid wissen und hätte mich am Arsch, ehe er mir das verdammte Rezept ausgestellt hätte.« Eine kurze Pause entstand, und dann, während er
Weitere Kostenlose Bücher