Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

zurückgezogen, aus dem er sich eigentlich hatte befreien wollen.«
    »Rafael Ditko.«
    »Rafi Ditko«, bestätigte ich. Mein Freund, den ich soeben zum zweiten Mal verraten hatte. Und um die ganze Sache noch schlimmer zu machen, als sie bereits war, sah ich, dass Pen die Augen aufgeschlagen hatte und alles mithörte. Der Knebel, der mit Klebeband in ihrem Mund fixiert worden war, verhinderte, dass sie diese Information lautstark kommentierte, außer mit ihren Augen – aber die sprachen Bände.
    Gwillam war anscheinend beeindruckt. »Ich muss Sie beglückwünschen, Castor«, sagte er mit einem ernsten Unterton. »Sie wären tatsächlich rücksichtslos genug, um bei den Anathemata mitzumachen, wenn das Licht auch Sie jemals erleuchten sollte. Aber …« Er zögerte und massierte seinen Nasenrücken, als käme er so taktvoll wie möglich auf ein besonders delikates Thema zu sprechen. »Warum sollte dies meine Meinung über Abbie Torringtons Seele ändern? Sie wurde Asmodeus geweiht. Was sollte irgendeinen anderen Adepten, so skrupellos und gleichgültig gegenüber menschlichen Empfindungen wie Fanke, davon abhalten zu beenden, was er begonnen hat?«
    Die Frage brachte mich aus dem Konzept, aber ich improvisierte so gut ich konnte. »Niemand weiß von ihr«, sagte ich. »Sie haben soeben Fankes gesamte Truppe getötet, und Zucker selbst hat Fanke erledigt.«
    »Das ist richtig. Aber was hat er darüber über seine Nachrichtenkanäle verbreitet? Wen hat er davon in Kenntnis gesetzt? Was werden seine … Gemeindemitglieder in der Satanistenkirche tun, wenn sie von seinem Scheitern erfahren? Nein, Sie haben das akute Problem sehr clever gelöst, aber auf lange Sicht bleibt die Bedrohung bestehen. Die Seele des Mädchens ist wie ein Zünder auf der Suche nach der richtigen Bombe. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Gebt Gott, was Gottes ist.«
    Ich wollte Gwillam sagen, er solle sich seinen frömmelnden Scheiß irgendwohin stecken, wo niemand ihn hörte, und sich selbst daran ergötzen, aber er war noch nicht ganz fertig. »Joshua!«, fuhr er fast mit Singsangstimme fort. »Joshua, aller Menschen König und aller Menschen Bruder, ich lobe Dich und lebe in Deiner Gnade! Der Gefäße gibt es viele, eins anders als das nächste. Was sollen wir laut Gesetz mit ihr tun? Und als der Morgen graute, ging Er fort. Sogar zum Haus des Simon Petrus.«
    Ich reagierte zu spät. Ich hatte keine Ahnung, was Gwillam tat, bis ich zur Seite auf Juliet schaute und erkannte, dass in ihrer Ruhe etwas Angespanntes lag. Sie stand stocksteif aufgerichtet, rührte sich nicht, jedoch zeichneten sich die Muskeln an ihrem Hals wie Stricke unter ihrer Haut ab.
    »Das war der Zauberspruch, der sie fesselt«, sagte Gwillam. »Soll ich auch den Zauber sprechen, der sie vernichtet?«
    Ich machte unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu. Die Mündungen der Maschinenpistolen richteten sich auf mich wie Schlangenaugen, die von einer Bewegung angelockt wurden. Ich hielt inne und begriff, dass ich nicht lebend an ihn herankäme.
    »Soll ich den …?«
    »Nein«, sagte ich. »Nicht. Tun Sie das nicht.«
    Niemals hätte ich angenommen, dass er sie so schnell einschätzen würde. Aber ihre Macht lag darin, einem die Augen, die Nase und den Geist mit ihrer Essenz zu füllen. Wenn man mit einem Exorzisten zu tun hat, ist das eine sehr riskante Strategie. Entweder macht man kurzen Prozess mit ihm und schaltet ihn sofort aus oder man liefert ihm sämtliche Munition, die er braucht.
    »Dann geben Sie mir das Medaillon«, verlangte Gwillam.
    Ich blickte auf das Medaillon in meiner Hand, tat jedoch nichts. Für die Dauer von etwa drei Herzschlägen erstarrte die Szene zu einem Standbild.
    »Castor …«, murmelte Gwillam warnend.
    »Wenn Sie das Medaillon haben, gehen Sie dann?«
    »Anstatt Sie und Ihre dämonische Hure zu töten, was ich jederzeit tun könnte? Ja. Greifen Sie zu. Es ist das beste Angebot, das Sie kriegen.«
    Da hatte er wohl recht. Ich warf ihm das Medaillon zu, und er fing es mit einer Hand auf. Juliets Augen verengten sich, aber das war die einzige Bewegung, die sie machte – die einzige Bewegung, die sie machen
konnte
.
    Gwillam gab seinen Männern ein Zeichen – ein Kreisen mit dem Zeigefinger im Uhrzeigersinn, das offenbar »Zelte abbrechen« heißen sollte. Sie entfernten sich in geordneter Weise, wobei zwei Männer Zucker trugen, als im gleichen Moment die bunten Glasfenster rechts und links der Kirchentür explodierten und als Glaskonfetti