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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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demokratischer als das Leben. Ich sah auch, dass Juliet eine graue, halb mit Wasser gefüllte Plastikschüssel trug. Sie hatte sie auf dem Schoß gehabt und musste die ganze Zeit hineingeschaut haben.
    »Und wie steht’s?«, wollte ich von ihr wissen.
    »Gut«, sagte sie unbestimmt. »Im Großen und Ganzen.«
    »Heißt …?«
    »Es geht ganz gut, wenn ich nicht an den Hunger denke. Es liegt jetzt ein Jahr zurück, seit ich richtige Nahrung aufgenommen habe. Nahrung in Form eines menschlichen Wesens, seines Körper und seiner Seele. Manchmal fällt es mir sehr schwer, den Geschmack – und den damit einhergehenden Genuss – aus meinem Denken zu verdrängen.«
    Ich suchte nach einer angemessenen Erwiderung, aber mir fiel nichts ein. »Ja«, sagte ich nach einer etwas zu langen Pause. »Ich dachte schon, dass du ein wenig mager aussiehst. Betrachte es als eine Entgiftungsdiät.«
    Juliet runzelte die Stirn, da sie die Anspielung nicht verstand. Jetzt schien mir nicht der geeignete Moment zu sein, sie ihr näher zu erläutern.
    »Hast du es mit einem Spuk zu tun?«, fragte ich, um zum Grund meiner Anwesenheit zu kommen. »Mit einem Friedhofsgeist?« Es war eines der häufigsten Szenarios, denen wir in unserem Gewerbe begegneten: Geister, die sich dort herumtrieben, wo noch ihre sterblichen Überreste ruhten, verankert in ihrem eigenen Fleisch und nicht fähig, sich davon zu lösen und weiterzuziehen. Einige von ihnen fanden Gefallen an dieser Art von Bindung und standen als Zombies wieder auf. Die meisten blieben einfach, wo sie waren, und wurden im Laufe der Jahre schwächer und elender.
    Juliet musterte mich ernst. »Auf diesem Friedhof? Hier wurde seit Jahrhunderten niemand mehr beerdigt, Castor – sieh dir die Daten an.«
    Ich tat es. Joseph hatte 1782 ins Gras gebissen und Caroline drei Jahre später. Wichtiger noch, alle Grabsteine standen mehr oder weniger malerisch schief, und die meisten waren grün und mit dichten Moospolstern überwuchert. Einige waren bereits im Begriff, im Erdreich zu versinken, und die unteren Zeilen ihrer verwitterten Botschaften von Trauer und frommer Hoffnung waren unter dem hohen Gras verborgen.
    »Hier gibt es keine Geister«, stellte Juliet überflüssigerweise fest.
    »Was dann?«, fragte ich und war ein wenig peinlich berührt und verärgert, von meiner eigenen Azubine auf einen derart grundlegenden Punkt aufmerksam gemacht worden zu sein. Nur wenige Geister hielten sich länger als ein Jahrzehnt an einem festen Ort auf – fast keiner länger als fünfzig oder sechzig Jahre.
    Es gab nur einen nachgewiesenen Fall, dass eine Seele länger als ein Jahrhundert überdauert hatte, und sie residierte zurzeit ein paar Meilen östlich von uns. Sie hieß Rosie und war so etwas wie eine Freundin von mir.
    »Etwas Größeres«, sagte Juliet.
    »Dann wird Weihwasser es maximal wütend machen«, sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf die Schüssel. Sie sah mich vielsagend an und drückte mir die Schüssel in die Hände. Reflexartig packte ich sie, um zu vermeiden, dass ihr Inhalt auf meinen Mantel schwappte.
    »Ich habe nicht gesagt, dass es geweiht ist«, meinte Juliet.
    »Hast du dir dann die Haare gewaschen? Weißt du, menschliche Frauen tun so etwas gerne, wenn sie völlig ungestört sind und –«
    »Dreh dich um.« Sie deutete auf die Kirche.
    »Im Uhrzeigersinn oder dagegen?«
    »Dreh dich einfach um.« Juliet legte die Hände auf meine Schultern, nahm mir die Arbeit ab und drehte mich ohne die geringste Mühe um einhundertachtzig Grad. Die Berührung schüttelte mich durch wie ein sinnlicher Stromschlag und erinnerte mich abermals daran – als hätte ich es nötig gehabt –, dass Juliet sowohl über unerschöpfliche physische Kraft wie auch spirituelle Kraft von der Art verfügte, über die Susan Book sich bewundernd geäußert hatte. Ich blickte zu der aufragenden Masse von Saint Michael’s, die nun die untergehende Sonne abschirmte und nur noch ein monolithischer Klotz tintenschwarzen Schattens war.
    »Meinesgleichen hat ein Talent für Tarnung«, murmelte Juliet, und ihre kehlige Stimme klang plötzlich eher bedrohlich als erregend. »Wir benutzen es, wenn wir auf der Jagd sind. Wir setzen falsche Gesichter auf, die hübsch oder völlig harmlos erscheinen, und projizieren sie in die Augen derer, die uns ansehen.« Sie tippte auf den Rand der Schüssel, und auf dem Wasser rollte eine kreisrunde Welle zur Mitte und wieder zurück zum Rand. »Wenn man uns sehen will, ist es

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