Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
professioneller Stolz war angekratzt, und ich musste zusehen, dass ich ihn schnellstens wieder aufpolierte.
Ja, so banal waren in diesem Moment meine Motive.
Ich muss zugeben, an besonders schlechten Tagen habe ich es meistens verdient, wenn es mich knüppeldick erwischt.
4
Die Eingangstür der Saint Michael’s Church war wuchtig, zweiteilig und hatte auf beiden Seiten ein Schloss. Altes Holz, zehn Zentimeter dick, eingefügt in eine niedrige, gewölbte Vorhalle, und sein Aussehen verriet mir, dass es vom Alter steinhart geworden war. Die Tür gab unter dem Druck meiner Hand höchstens einen Zentimeter nach, und ich verzichtete auf weitere Versuche. Ich hätte die Schlösser mit Kraft und aus reiner Sturheit aufhebeln können, aber es hätte keinen Sinn gehabt. So wie es sich anfühlte, waren die Türen auch noch im Boden gesichert. Auf der Innenseite befand sich offenbar ein entsprechender Stahlbolzen.
Es gibt Kirchen, die zu besichtigen Menschen tausende Kilometer weit reisen. Saint Michael’s gehörte nicht dazu. Verstehen Sie mich nicht falsch – sie war alt und durchaus beeindruckend. Frühe Gotik – sehr früh, wie Abbé Suger sie zu seiner Zeit beschrieben und als Erster geschaffen hatte. Damit bestand sie vorwiegend aus aufstrebenden Linien und war ausgesprochen schlicht gehalten: eine riesige kirchliche Hundehütte, auf welcher der Heilige Geist wie Snoopy bis zum Tag des Jüngsten Gerichts schlafen konnte.
Einige Leute würden behaupten, dass er verschlafen hat.
Dort wollte sich Juliet mit mir treffen, aber sie war nirgendwo zu sehen. Ich konnte nichts anderes tun als warten – und währenddessen spürte ich eine sehr schwache Präsenz irgendwo in meiner Nähe. Etwas Körperloses und Wechselhaftes, so undeutlich, dass allein mein Versuch, mich darauf zu konzentrieren, es zurückweichen und außer Reichweite geraten ließ, als ob mein Geist ein Suchscheinwerfer wäre. Was es auch war, es weckte bei mir negative Reaktionen – wie das übersinnliche Äquivalent einer bitteren Medizin, die ich vor langer Zeit hatte einnehmen müssen und seitdem nie vergessen konnte.
Neugierig geworden, legte ich die Hände wieder auf die Kirchentür, schloss die Augen und lauschte mit meinem ganz speziellen Sinn.
Zuerst war da nichts – außer dem Unbehagen, als meine Handflächen das kalte Holz berührten. Vielleicht hatte ich mich von vornherein geirrt, und alles, was ich spürte, waren die Nachwirkungen des seelischen Katers, unter dem ich am Tag vorher gelitten hatte. Ich überlegte, ob ich meine Tin Whistle hervorholen und mich bemühen sollte, meine Suche ein wenig zu verfeinern, aber genau in diesem Moment erzeugten die Schritte einer Frau eine sich wiederholende Sinfonie von Echos auf den Steinplatten hinter mir. Ich wandte mich mit einer launigen und leicht obszönen Bemerkung auf der Zunge um. Aber sie erstarb bereits, ehe ich den Mund aufmachte, denn es war nicht Juliet, die auf mich zukam. Es war eine junge Frau mit Gelehrtenbrille und schulterlangem blondem Haar. Sie war klein und zierlich, hatte einen sehr hellen Teint und ging mit nach vorne gesunkenen Schultern, als wollte sie sich vor heftigem Regen schützen. Nur dass der Regen nach Westen weitergewandert war und wir einen schönen Spätfrühlingstag hatten. Und wenn es im Schatten der Kirche nicht ausgesprochen kühl gewesen wäre, hätte ich mich in einem schweren Mantel sogar ein wenig overdressed fühlen können. So wie es aussah, empfand sie ihr beigefarbenes Kostüm als zu dürftig, obgleich das Oberteil lange Ärmel hatte und der Rock sittsam weit über die Knie reichte. Sie rieb sich nervös die Arme, während sie sich näherte.
Wimpernlose schwarze Augen musterten mich durch diese Gelehrtenbrille.
»Mister Castor?«, sagte die Frau zögernd, als ob allein diese Frage schon als Beleidigung gewertet werden könnte.
»Der bin ich«, erwiderte ich.
»Ich bin Susan Book, die Küsterin. Hmm … Miss Salazar ist hinten, auf dem Friedhof. Sie bat mich, Ihnen den Weg zu zeigen.«
Ihre Stimme hatte diesen ansteigenden Tonfall, der jede Aussage wie eine Frage klingen ließ. Normalerweise irritiert mich das ein wenig, aber Susan Book war derart verzweifelt darum bemüht, sich beliebt zu machen, dass sich über sie zu ärgern, auch wenn es nur insgeheim geschah, einem vorgekommen wäre, als traktierte man einen Welpen mit einem Brandeisen. Sie streckte mir schüchtern die Hand entgegen. Ich ergriff und drückte sie und hielt sie lange genug
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