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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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meiner Mutter, und sie würde es sicher nicht für angemessen halten. Sie vertritt in solchen Dingen sehr altmodische Ansichten. Es würde ihr noch nicht einmal gefallen, dass ich mich von Ihnen habe mitnehmen lassen.«
    »Dann bleibt das unser Geheimnis«, sagte ich und wartete, dass sie ausstieg. Das tat sie jedoch nicht. Sie saß da und starrte mit großen Augen nach vorn durch die Windschutzscheibe. Dann, mit einer abrupten Bewegung, schlug sie die Hände vors Gesicht und stieß einen zitternden und lang anhaltenden Wehlaut aus, der schließlich in ein haltloses, untröstliches Schluchzen überging.
    Es geschah so völlig unerwartet, dass ich sie für ein paar Sekunden nur wortlos anstarren konnte. Dann begann ich mit einigen tröstenden Lauten und schaffte es sogar, ihr beruhigend auf den Rücken zu klopfen. Aber sie irrte durch eine ganz eigene Welt persönlichen Leids, in der es mich nicht gab. Nach etwa einer Minute konnte ich bruchstückhaft Worte verstehen, die ihr nahezu atemlos gehaucht über die Lippen kamen.
    »Ich … ich bin … ich bin nicht …«
    »Was sind Sie nicht, Susan?«, fragte ich so sanft ich konnte. Ich kannte sie nicht gut genug, um auch nur erraten zu können, was sie quälte, aber was es auch war, es musste sie tief getroffen haben.
    »Ich bin keine – nein, das bin ich nicht. Ich bin keine, keine Les… keine Lesb…« Die Worte gingen im bodenlosen Sumpf ihres Schluchzens unter, aber dieses kurze Auftauchen hatte mir alles verraten, was ich wissen musste.
    »Nein«, sagte ich. »Das sind Sie nicht.« Ich griff an ihr vorbei, um das Handschuhfach zu öffnen, fand dort ein Päckchen Papiertaschentücher und reichte ihr eines. »So läuft das nicht. Das ist es, was Juliet mit den Menschen macht. Man kann sich nicht dagegen wehren. Man verliebt sich in sie, ob man es will oder nicht.«
    Susan vergrub das Gesicht im Taschentuch und schüttelte heftig den Kopf. »Nicht Liebe«, schluchzte sie. »Es ist keine Liebe. Ich habe ein fleischliches … ich habe Phantasien … Oh Gott, was passiert da? Was geschieht mit mir?«
    »Egal, wie man es nennt«, sagte ich sachlich, »wenn man Juliet nur ansieht, fängt man es sich ein wie eine Grippe. Ich spüre es ebenfalls. Die meisten Leute, die ihr nahekommen, spüren es. Und egal was, es ist nichts Sündiges.«
    Mir fiel nichts ein, was ich dem hätte hinzufügen können. Vielleicht gehörte Susan Book zu der Sorte Christen, die überzeugt waren, dass gleichgeschlechtliche Liebe immer eine Sünde ist. In diesem Fall musste sie selbst damit zurechtkommen. Aber ob hetero, schwul oder agnostisch, was Juliet bei einem auslöste, war stets mit einem Schock verbunden. Ich könnte Susan erklären, was Miss Salazar in Wirklichkeit war – rein prophylaktisch sozusagen –, aber es stand mir nicht zu, dieses Geheimnis zu enthüllen, und unter den gegebenen Umständen hätte es alles nur noch schlimmer anstatt besser machen können. Fleischliches Verlangen nach einem Dämon des gleichen Geschlechts? Susan war ganz eindeutig nicht in der Verfassung, diesen Schlag unbeschadet zu verdauen.
    Ich gab mir alle Mühe, sie zu beruhigen, und irgendwann stieg sie aus dem Wagen und ließ das nasse Taschentuch auf dem Beifahrersitz liegen. Sie murmelte etwas, das wohl ein Dankeschön fürs Mitnehmen sein sollte, und fügte hinzu: »Erzählen Sie ihr nichts! Bitte, bitte erzählen Sie es ihr nicht!« Dann flüchtete sie ins Haus.
    Wahrscheinlich gab es nichts, was ich hätte sagen können, das ihr geholfen hätte. Liebe ist eine Droge, wie es so schön heißt. Aber die härteste Wahrheit liegt eher im Evangelium nach Steppenwolf als nach Roxy Music: Dem Dealer ist es egal, ob sein Kunde lebt oder stirbt.

    Ich rief aus dem Wagen die Torringtons an, während ich quer durch die Stadt zurück nach Osten fuhr. Natürlich per Freisprechanlage. Sie sollen auf keinen Fall denken, dass für mich Sicherheit nicht an erster Stelle steht. Steve nahm bereits nach dem ersten Klingeln ab, was mich vermuten ließ, dass er mit dem Telefon in der Hand gewartet hatte.
    »Mister Castor«, sagte er und klang ein wenig atemlos. »Irgendwelche Neuigkeiten?«
    »Gute, soweit sich erkennen lässt«, sagte ich. »Sie hatten recht, und ich habe mich geirrt.«
    »Heißt …?«
    »Abbie ist nicht im Himmel. Sie ist in London.«
    Er atmete aus, lange und laut. Ich wartete, dass er weiterredete.
    »Können Sie mich für einen Moment entschuldigen?«
    »Natürlich.«
    Vielleicht deckte er die

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