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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Punkt zu kommen.
    »Es ist ein Herzschlag«, sagte. »Einmal pro Minute.«

5
    Ich kehrte zum Wagen zurück, den ich auf dem Parkplatz hinter einer Weinhandlung abgestellt hatte, die montags schon früher die Pforten schloss. Es war Pens Mondeo, den sie mir immer lieh, wenn sie ihn nicht selbst brauchte. Da sie derzeit fast alle Transportaufgaben mit Dylans Lexus lösen konnte, stand mir ihr Wagen so gut wie ständig zur Verfügung.
    Ich stieg ein und verriegelte die Türen für den Fall, dass meine Aufmerksamkeit abgelenkt würde. Abbies Puppe lag in einer Sainsbury-Einkaufstüte auf dem Beifahrersitz. Ich nahm sie heraus, hielt sie in beiden Händen und schloss die Augen.
    Und erschauerte. Da war schon wieder dieser unergründliche Schmerzeindruck von Abbies vor langer Zeit erlebtem und lange ertragenem Leid, das immer noch in der schwachen, mit Lumpen ausgestopften Musselinhülle erhalten geblieben war. Hab ich dich doch noch erwischt, du Bastard, dachte ich mit einem Gefühl kühler Zufriedenheit. Du kannst mich von deiner Spur ablenken und mich abschütteln, aber nur wenn du weißt, dass ich sie aufgenommen habe. Du kannst unmöglich die ganze verdammte Zeit auf Schleichfahrt sein.
    Ich legte die Puppe wie einen kleinen Ixion auf das Lenkrad, holte die Flöte heraus und spielte die ersten Töne von Abbies Melodie, die noch ganz frisch in meinem Gedächtnis war.
    Innerhalb von Sekunden erhielt ich die gleiche Antwort wie zuvor, den gleichen Eindruck von etwas, das von außen mit der Musik Kontakt aufnimmt, als würde ich ein physisch greifbares Netz über West-London ausbreiten. Nur war es diesmal stärker. Ich befand mich kaum eine Viertelmeile östlich meines Büros in Harlesden, jedoch gut anderthalb Meilen weiter südlich. Und ja, die Richtung war eine andere – der leichte Zug am Klangteppich erfolgte nicht über meine linke Schulter, sondern genau von vorn, wo erst vor Kurzem die Sonne untergegangen war. Dadurch fiel es mir leichter, mich auf diesen Bereich zu konzentrieren. Die Berührung war nur schwach, eigentlich kaum wahrnehmbar, aber ich öffnete mich dafür, blendete sämtliche Ablenkungen aus und lauschte angespannt auf diesem einen Kanal, den ich mit dem leisen, klagenden Lied der Tin Whistle schuf und offen hielt. Sie schien sich zurückzuziehen. Ich spielte einen einzelnen Ton, so leise, dass er fast nicht zu hören war, hauchte nur noch ins Mundstück, und langsam, unendlich langsam –
    Plötzlich fraß sich eine schrille Dissonanz wie eine Black & Decker Bohrmaschine in meinen Geist. Sie kam aus dem Nichts, schnitt durch meine Nerven und unterbrach Denken, Fühlen und Musik, so dass die zuckenden Enden nur noch Chaos und Qual meldeten. Ich schrie laut auf, mein Rücken spannte sich, so dass ich mit dem Kopf gegen die Nackenstütze des Fahrersitzes knallte, und meine Füße rammten die Pedale aufs Bodenblech, als ob ich den bereits stehenden Wagen zu einem abrupten Halt bringen wollte.
    Es dauerte nur eine Sekunde lang, vielleicht sogar weniger. Noch während ich schrie, ließ die wahnsinnige Intensität des Schmerzes nach, und ich sackte nach vorn wie eine Marionette, deren Schnüre durchtrennt worden waren, und mein Kopf schlug auf den Körper der Puppe, die immer noch vor mir auf dem Lenkrad lag.
    Geschwächt und benommen lag ich ein paar Sekunden lang da, während elektrische Funken zwischen meinen Nervensträngen hin und her sprangen, und versuchte, mir darüber klar zu werden, wo ich war und weshalb blutiger Speichel aus meinem Mund auf ein ausgestopftes Kinderspielzeug troff. Meine Zunge pulsierte im gleichen Rhythmus wie mein Herz und schien für meinen Mund viel zu groß zu sein. Ich hatte tief hineingebissen, und der bittere Geschmack stammte von meinem eigenen Blut. Ich wischte es mit dem Handrücken ab und berappelte mich. Dies war ein Job, den ich nur in kleinen Schritten erledigen konnte.
    Ich holte meine Taschenflasche mit dem geheimen Brandy-Vorrat hervor und schraubte sie mit zitternden Händen auf. Der erste Schluck war rein medizinischer Natur. Ich spülte damit meine durchbissene Zunge, bemühte mich, mir die Schmerzen nicht anmerken zu lassen, drehte das Fenster nach unten und spuckte das Blut aus. Der zweite Schluck war für meine flatternden Nerven. Ebenso der dritte und vierte.
    Plötzlich wurde mir bewusst, dass mich, als ich nach unten zwischen meine Füße schaute, ein anderes Augenpaar anstarrte. Nachdem meine Magengrube sich von dem Schreck erholt hatte, hob ich

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