Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Sprechmuschel zu oder vielleicht waren die Stimmen auch zu leise, so dass ich sie bei dem Motorenlärm nicht hören konnte. Für etwa eine halbe Minute herrschte Stille. Dann meldete er sich wieder. Seine Stimme schwankte – wie die Stimme eines Mannes, der mit den Tränen kämpfte.
»Wir können Ihnen gar nicht genug danken, Mister Castor. Meinen Sie, Sie könnten sie finden?«
»Ich will es auf jeden Fall versuchen.«
Er lachte erleichtert, rau und inbrünstig und abrupt abgebrochen wie durch einen psychischen Scherwind. »Das sind hervorragende Neuigkeiten! Wirklich phantastisch! Wir haben zu Ihnen vollstes Vertrauen.«
»Mister Torrington …«
»Steve.«
»Steve, ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Das Ganze ist trotzdem nicht gerade einfach, auch wenn ich es schaffen sollte. Und ich brauche Geld, weil ich einige Ausgaben habe. Wenn Sie mir vielleicht zwei- oder dreihundert Pfund überweisen können, dann könnte ich anfangen …«
Er unterbrach mich. »Mister Castor, meine Frau und ich gelten nach allgemeinen Maßstäben als wohlhabend. Sie treten zu behutsam auf, wenn ich so sagen darf. Egal wie viel Sie brauchen, wir können es uns leisten. Wahrscheinlich haben Sie das Gefühl, unsere Trauer für sich auszunutzen. Das empfinden wir überhaupt nicht so. Wir haben gehört, dass Sie der Beste sind, und wir sind dankbar, dass Sie bereit sind, uns zu helfen.« Ein Rascheln erklang und dann das Kratzen eines Füllfederhalters auf Papier. »Ich fülle soeben einen Scheck aus«, fuhr er fort. »Über eintausend Pfund. Ich stecke ihn heute noch in den Briefkasten. Nein, besser – ich bringe ihn zu Ihnen ins Büro. Ich lege auch noch ein wenig Bargeld dazu, damit Sie über die Runden kommen, ehe er gutgeschrieben ist. Wenn es mehr ist, als Sie im Sinn hatten, und wenn es Ihnen unangenehm ist, dann spenden Sie den Rest einer wohltätigen Organisation Ihrer Wahl.«
Das gefiel mir. Ich sollte mehr Kunden haben, die dergestalt Rücksicht auf meine Sensibilitäten nehmen. Ich fragte ihn nach Peaces Adresse, die sich, wie sich herausstellte, in East Sheen befand, kein Teil der Stadt, in dem ich mich einigermaßen auskannte, und viel weiter südlich als erwartet.
»Ich melde mich«, sagte ich und unterbrach die Verbindung.
Völlig automatisch war ich auf den Westway zurückgekehrt und durch Marylebone und an Madame Tussauds und am Planetarium vorbeigefahren – in dem heute nur noch Stars auftraten, die ihren Ruhm dem Fernsehtagesprogramm verdankten. Ich wollte schon nach Norden in die Albany Street abbiegen. Ich musste jedoch noch einen anderen Besuch machen, und dazu musste ich in den Osten der Stadt anstatt in den Norden. Also fuhr ich weiter – immer schön nach Osten in Richtung des abgelegenen Walthamstow.
Ich war müde und hatte immer noch Kopfschmerzen von diesem psychischen Überraschungsangriff, aber ich gewann nichts, wenn ich diese Angelegenheit auf den nächsten Tag verschob. Die Nacht war immer die beste Zeit, um Nicky aufzusuchen, wenn man irgendetwas Zusammenhängendes und Vernünftiges von ihm hören wollte.
Ich parkte den Wagen am oberen Ende der Hoe Street. Von dort war es noch ein gutes Stück zu Fuß, aber der Wagen würde immer noch dort stehen, wenn ich zurückkam, und wahrscheinlich sogar komplett mit Motor und Rädern. Da lohnte es sich durchaus, eine kleine körperliche Strapaze auf sich zu nehmen.
Nach ein paar Minuten Fußmarsch vorbei an der U-Bahn-Station folgte ein Gebäude mit einer Cecil-Masey-Fassade, die trotz des Drecks und der abblätternden Farbe und der Graffiti ihre ursprüngliche Schönheit nicht eingebüßt hatte. Der Baustil war unübersehbar maurisch wie bei sämtlichen seiner schönsten Bauten. Die Mitte wurde von einem hohen, schlanken, oben abgerundeten Fenster beherrscht, das in seiner Form entfernt an einen Phallus erinnerte und von zwei kleineren, genauso geformten Fenstern flankiert wurde. Die gleichen Formen erschienen im oberen Bereich der Mauern wie Zinnen oder wie zu Mauerwerk erstarrte Wellen. Das Innere bestand dank Sidney Bernstein oder einem seiner unterbezahlten Assistenten aus Marmor, Spiegeln und vergoldeten Engeln.
Der Bau öffnete seine Tore im Jahr 1931 als ein Gaumont-Kino, erlebte eine lange Blütezeit und einen langsamen Abstieg wie alle anderen feudalen Filmpaläste der Vorkriegszeit. Aber dann hatte irgendein Leichenfledderer es im Jahr 1963 exhumiert und zu einem nur für Mitglieder reservierten Etablissement mit einem
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