Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Außerdem war es schwierig, genau zu definieren, wer wohnberechtigt war, denn jeder konnte behaupten, Exorzist zu sein, und brauchte als Beweis nicht mehr als einen Briefkopf oder ein Praxisschild. In einem Durcheinander von gegenseitigen Anfeindungen, Beschuldigungen und heftigen Intrigen fiel die Stiftung in sich zusammen. Die
Collective
existierte noch, aber die Gelder, mit denen sie instand gehalten werden sollte, waren per Gerichtsbeschluss eingefroren, und sie verfiel zum Leidwesen aller Beteiligten langsam aber sicher. Sie wanderte auf der Themse von Liegeplatz zu Liegeplatz, büßte mit jedem Stopp ein wenig von ihrem Nimbus ein und war stets unwillkommen, obgleich die Jacht für ihren eigenen Unterhalt sorgen konnte. Die Klientel, die sie benutzte, bestand zunehmend aus Leuten, die sich nur für kurze Zeit in der Stadt aufhielten, oder solchen, die keine andere Bleibe hatten.
Was wusste ich über Reggie Tang? So gut wie nichts. Er war jener Typ von aufgehendem Stern, den alte Hasen wie ich stets misstrauisch und aus sicherer Entfernung beobachteten: Gerüchten zufolge schnell von Begriff, ein wenig jähzornig und Prügeleien nicht abgeneigt. Sein Dad war in Hongkong vor der Rückgabe eine Art Börsenmakler gewesen; er selbst war Buddhist – zumindest hatte ich etwas Entsprechendes gehört – und in der Schwulenszene aktiv. Das war so ziemlich alles. Ich war ihm nur ein einziges Mal persönlich begegnet, und bei dieser Gelegenheit hatte ein ziemlich heftiger und lautstarker Meinungsaustausch darüber stattgefunden, welche mittelalterlichen Zauberbücher hinsichtlich der Beschreibung von Namen und Eigenschaften von Dämonen keinen Pfifferling wert waren. Reggie hielt das
Liber Juratus Honorii
für erste Sahne. Für mich war es das schwachsinnigste Machwerk, das mir je unter die Augen gekommen war. Wir kamen bei dieser Diskussion allerdings nicht viel weiter als bis zum klassischen »Ist es doch – ist es nicht – ist es doch«-Stadium, weil wir am Ende sturzbetrunken waren. Ich hoffte, dass er den Abend in freundlicher Erinnerung hatte oder zumindest eine vage Vorstellung hatte, wer ich war. Ansonsten war das Beste, das ich mir erhoffen konnte, dass er mir die kalte Schulter zeigte.
Ich fand die
Collective
genau an der Stelle, die Nicky mir genannt hatte, am Ende eines Piers unweit des Artillery Museum – aber an Bord zu gelangen, erwies sich als ein wenig problematischer, da man, um den Pier zu betreten, ein verriegeltes Tor mit einer Dornenkrone aus rasiermesserscharfem Stacheldraht überwinden musste. Ich inspizierte das Schloss. Das Schlüsselloch hatte eine unverwechselbare Form. Es glich einem Stern mit sieben Strahlen, die allesamt gleich lang und breit waren bis auf den Strahl, der senkrecht nach unten gerichtet war. Dieser war länger und ein wenig breiter als die anderen. Es war ein französisches Modell, und ich würde es wahrscheinlich niemals vergessen, seit ich es das erste Mal gesehen hatte, denn die Firma, die es herstellte, nannte sich Pollux – und Castor und Pollux sind die beiden Figuren, die das Sternbild Zwillinge symbolisieren. Wichtiger war jedoch, dass ich es innerhalb einer Minute knacken konnte.
Aber als ich die Taschen des Trenchcoats durchstöberte, zog ich eine Niete. Ich hatte zwar die Flöte und ein paar andere Utensilien, die meine hautnahe Begegnung mit den beiden
loup-garous
am Vortag überstanden hatten, umgepackt. Aber ich hatte dabei meine Dietriche vergessen.
Daher konnte ich nichts anderes tun, als gegen das Tor zu hämmern und laut zu rufen und zu warten, bis mich jemand hörte. Es war ein schwerer Dämpfer für meinen professionellen Stolz.
Irgendwann erfolgte eine Reaktion. Schritte näherten sich, und dann schepperte das Tor, als jemand es von der anderen Seite aufschloss. Es öffnete sich ein Stück, und in dem Spalt erschien ein Gesicht, das mir völlig unbekannt war.
Es war ein Gesicht, mit dem sich nicht viel anfangen ließ. Man konnte es mögen oder nicht, vielleicht auch noch seinen Besitzer bedauern. Es war blass und flach und hatte die graue Farbe von nicht ausgebackenem Teig. Das strubbeligste Gewirr von stachligem, hellbraunem Haar, das ich je gesehen hatte, wucherte darüber wie Strandhafer auf einer Sanddüne. Man konnte nicht erkennen, ob der Körper, der zu einem solchen Gesicht gehörte, jung, alt oder irgendwo dazwischen war. Das Äußerste, wozu man sich hinreißen lassen konnte, war festzustellen, dass es – aller Wahrscheinlichkeit
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