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Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)

Titel: Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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nach – männlich war.
    »Guten Morgen«, sagte ich mit einem gewinnenden Lächeln. »Ist Reggie da?«
    Das Gesicht starrte mich wortlos an. Ich ließ mir die Möglichkeit durch den Kopf gehen, dass es auf einer Stange saß anstatt auf einem Hals. Doch dann öffnete der Typ das Tor ein wenig weiter, und ich konnte erkennen, dass er lebendig war und offensichtlich unversehrt und vollständig. Er hatte etwa meine Größe, war jedoch hager wie ein Kleiderständer. Bekleidet war er mit einer zerlumpten Jeans und einem mit Farbklecksen bedruckten T-Shirt. Seine Füße steckten in Pantoffeln, die aussahen wie Gromit der Hund. »Reggie?«, sagte er und klang dabei leicht verwirrt, als ob er den Namen zum ersten Mal hörte. Es war zwar nur ein Wort, aber der Akzent war nicht zu überhören. Er klang nach Essex.
    »Ja, Reggie Tang. Sie gehören doch zur
Collective
, nicht wahr? Wie ich hörte, soll er zurzeit dort wohnen.«
    Der Typ beantwortete meine Frage lediglich mit einem Kopfnicken. Nach einer kurzen angespannten Pause sagte er: »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Felix Castor.« Ich streckte die Hand aus. Er ergriff sie rein automatisch und eher gleichgültig, aber der emotionale Eindruck, den ich gewann, als sich unsere Hände berührten, war seltsam gemischt: Unbehagen, Ablehnung und etwas wie Erschrecken.
    Nichts davon schwang in seiner Stimme mit, die entrückt, wenn nicht gar schwermütig klang. »Greg Lockyear«, erwiderte er. »Sie sind also Castor. Habe hier und da schon mal Ihren Namen gehört. Anscheinend kennen viele Leute Sie.« Sein Blick wanderte zu meinen Füßen, während er das sagte, als wollte er überprüfen, dass meine Schuhe den Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften entsprachen, und hob dann den Kopf, um meinen Blick zu erwidern.
    »Reggie ist drinnen«, sagte er fast resignierend. »Kommen Sie rein.«
    Er machte kehrt und ging über den Pier voraus zur Gangway der
Collective
. Das Schiff war früher eine schwimmende Villa gewesen, jetzt war es ein Wrack. Ich hatte die
Collective
sechs Jahre lang nicht mehr gesehen und konnte erkennen, dass sich entsprechend viel Schmutz an ihrem Rumpf festgesetzt hatte. Etwas tiefer klebte ein schmieriger Ring faulender Algen und darunter, mir durch das Wasser, das gegen den Rumpf schwappte, rötlich zuzwinkernd, ein wenig Rost. Bei diesem Tempo des Verfalls würde die
Collective
nicht mehr allzu viele Jahre überdauern.
    Lockyear ging an Bord, und ich folgte ihm – über einen schmalen Laufgang und dann scharf nach links zu einer Treppe, die zur untersten Etage des Deckhauses hinabführte. »Nehmen Sie sich in Acht«, rief er, ohne sich umzudrehen. »Eine Stufe ist lose.« Die Warnung kam den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Ein Brett gab unter meinem Fuß nach, und ich schaffte es knapp, nicht aufs Gesicht zu fallen. Ich kam mir ein wenig vor wie ein ägyptischer Grabräuber.
    Das Deckhaus war ungefähr die einzige Räumlichkeit an Bord der
Collective
, die noch die gleiche Größe und den gleichen Grundriss hatte wie zu Beginn ihrer Existenz. Der Aufbau bestand aus zwei Stockwerken, die durch eine Wendeltreppe aus gediegenem dunklem Holz miteinander verbunden waren, und er vermittelte immer noch den Eindruck einer verblichenen Eleganz. Einer sehr verblichenen allerdings: Die ursprünglichen Einbautische und Ledersofas wurden in gewisser Weise von Truhen und Einbauschränken verdrängt, die offenbar aus der Fundgrube von IKEA stammten, und in der Luft lag der Geruch von ranzigem Bratfett aus der kleinen Kochnische in der Ecke, über deren Herd sich eine rauchgeschwärzte Decke wölbte wie der kollektive Geist vor langer Zeit zubereiteter und verzehrter Mahlzeiten. Dort befand sich auch die einzige andere Tür, die aus dem Raum herausführte, und sie war halb aus den Angeln gerissen. Das Balkongeländer, das die obere Etage des Deckhauses knapp drei Meter über unseren Köpfen säumte, war an einigen Stelle weggebrochen, so dass sich ein gemütlicher Rundgang sehr schnell zu einem Abenteuer auf Leben und Tod entwickeln konnte, wenn man nicht darauf achtete, wohin man trat.
    Unweit der Kochnische wartete eine Frühstücksbar. Sie bestand aus einer langen, an der Wand verschraubten Tischplatte und ein paar hohen Hockern, die sich davor aufreihten. Die gleiche geschmackvoll gestaltete Wandtäfelung aus Kirschholz und Nussbaum verzierte den Bereich um die Bar und unterstrich den verkommenen Zustand, in dem sich der restliche Raum befand. Der Typ, der dort saß und

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