Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Angriffsziel. Wenn die Geister – und ihre Diener und Satrapen, die Werwesen, die Dämonen und Zombies – einen Krieg gegen die Lebenden führten, dann würden sie früher oder später die Leute angreifen, die die gegnerischen Truppen anführten: die Exorzisten. Er begann, Vorsichtsmaßnahmen für seine eigene Sicherheit zu ergreifen, und der erste – öffentlich angekündigte – Schritt war der Kauf einer Jacht. Da die Toten gewöhnlich keine fließenden Gewässer überqueren konnten, hatte Steiner sich entschlossen, dafür zu sorgen, dass er die meiste Zeit von fließendem Wasser umgeben war und festes Land nur betrat, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Er äußerte in einigen Interviews, dass dies die Lebensform der Zukunft sein könnte. Er sprach von umherziehenden Volksgruppen, von schwimmenden Städten, die auf ausrangierten Flugzeugträgern und Supertankern eingerichtet würden.
Er mochte völlig verrückt erscheinen, aber ich vermute, dass er irgendwann erkannte, dass sich seine Vorstellung von einer Umsiedlung ganzer Stadtbevölkerungen auf Hausboote nur sehr schwer verkaufen lassen würde. Etwas anderes – irgendeine andere Maßnahme, durchführbar, aber zugleich wirkungsvoll – musste gefunden werden, so dass die Lebenden, wenn der Angriff der Gegenseite stattfände und die übel gesinnten Toten in Massen auftraten, einen Ort hätten, an den sie sich zurückziehen könnten. Einmal Visionär, immer Visionär, empfahl Steiner eine Serie von Unterschlupfmöglichkeiten, genial konstruiert, die »auf allen vier Seiten von geweihtem Boden umgeben wären und hinter Befestigungsmauern aus Erde, Luft und Wasser« stehen sollten. Die nach diesen Plänen erbauten Häuser, erklärte er, würden die Augen der Toten blenden und ihre Streitmacht schwächen. Die ersten Entwürfe wurden mit regelrechten Burggräben versehen. Die späteren hatten doppelte Wände, zwischen denen für den Betrachter unsichtbar Wasser in speziellen Stahltanks floss. Wie er sich das mit der Erde und der Luft als Schutz dachte, weiß ich nicht mehr so genau. Er schickte die Entwürfe an die Bauämter sämtlicher Londoner Stadtbezirke und bot seine Dienste als kostenloser Berater an, falls man sich zu einem entsprechenden Neubauprogramm entschließen sollte.
Soweit ich weiß, reagierte keine der Bezirksverwaltungen – nicht einmal mit einem dürren »Wir bestätigen den Eingang Ihres Schreibens und werden uns nach eingehender Prüfung desselben mit Ihnen in Verbindung setzen«. Steiner tobte vor hilfloser Wut. Trotz seiner Millionen hatte er nicht die geringste Möglichkeit, dieses Projekt aus eigener Kraft zu realisieren.
In seinem Wahnsinn lag jedoch auch ein positiver Aspekt. Er betrachtete die Exorzisten – vor allem die in London ansässigen – als seine Jungs, seine persönlichen Schutzbefohlenen. Er überließ Bourbon Bryant die Räumlichkeiten, die später das Oriflamme beherbergten, weil er von einem Ort träumte, an dem die Geisterjäger sich treffen und fachsimpeln könnten. (Wahrscheinlich vertrat er außerdem das »Zusammen-sind-wir-stark«-Prinzip.) Und als er starb, hinterließ er seine Jacht einer Stiftung, der Bryant als erster Präsident vorstand, und verfügte in seinem Testament, dass ihr Name in
Thames Collective
geändert wurde. Gelder aus seiner Erbmasse waren dafür bestimmt, sie seetüchtig und in bewohnbarem Zustand zu erhalten, und jeder Londoner Exorzist hatte das Recht, dort so lange zu wohnen, wie er wollte, wobei die Kabinen nach einem strengen Wechselturnus vergeben wurden, falls zu viele Gäste zur gleichen Zeit das Angebot nutzen wollten.
Anfangs sah es so aus, als könne genau das sich zu einem Problem entwickeln. Einer Menge Leute gefiel die Vorstellung, kostenfrei auf einer Luxusjacht wohnen zu können. Aber die
Collective
war alles andere als luxuriös. Um die Anzahl der Kabinen zu erhöhen, hatte Steiner die großen Kabinen mit Gipskartonplatten unterteilen lassen, so dass der Wohnraum ziemlich knapp war und eher spartanisch aussah. Es hatte auch Probleme mit der Verwaltung der Stiftung gegeben. Vorgesehen war, dass in London ansässige Exorzisten die Verwaltung abwechselnd für jeweils ein oder zwei Jahre übernehmen sollten, so dass sich der damit verbundene Arbeitsaufwand auf zahlreiche Schultern verteilte. Aber nicht einmal die Leute, die auf der
Collective
wohnen wollten, waren davon begeistert, einen Teil ihrer Zeit zu opfern, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten.
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