Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
beeindruckend, und es roch dort durchdringend nach Bienenwachs und Schellack, aber ich hatte nicht die Zeit für eine ausgedehnte Führung. Der Verkäufer ging voraus und blickte bei jedem zweiten Schritt hinter sich, um sich zu vergewissern, dass ich noch da war. Nach einem Korridor, an dessen Wänden Holzkisten aufgestapelt waren, gelangten wir in einen Raum, der von einer einzelnen wuchtigen Werkbank, Stühlen und einigen Tischen beherrscht wurde, die an Gestellen darüber hingen und den Eindruck einer Folterkammer für frevelhafte Möbel erweckten. Danach folgte ein Vorratsraum voller Farbdosen, Drahtwolle in dicken Ballen und tellergroßen Schüsseln Metallpolitur.
Am Ende des Vorratsraums befand sich eine Tür, die der Verkäufer mit einem Schlüssel aus seiner Tasche öffnen und oben und unten entriegeln musste. Er riss sie auf und starrte mich an, als hätte er irgendeinen teuflischen Trick auf Lager. Ich untersuchte den Schutzzauber am Türsturz, als ich hindurchging: Haselnuss. »Der ist längst abgelaufen«, informierte ich ihn und schnippte mit dem Zeigefinger dagegen. »Wir haben fast Juni. Wenn sie nicht mit Poltergeistern Bekanntschaft machen wollen, sollten sie einen Myrtenzweig anbringen.«
Er erwiderte nichts. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss, und ich war allein in einer Gasse, die breit genug war für einen Lieferwagen. Nur geringe Deckungsmöglichkeiten, und offensichtlich führte sie direkt zurück zur Straße. Trotzdem peilte ich erst mal die Lage.
Ich ging wachsam bis zur Ecke und schaute hinaus. Es gingen genügend Leute in beiden Richtungen vorbei, um zu gewährleisten, dass man, solange niemand darauf achtete, dass ich an genau diesem Punkt herauskam, einige Zeit brauchen würde, um mich zu bemerken. Daher hatte ich den Luxus, die Straße in ihrer gesamten Länge überblicken zu können, ohne gleichzeitig darauf achten zu müssen, was in meinem Rücken geschah.
Niemand lauerte in der Nähe des Eingangs zu dem Laden, in dem ich verschwunden war. Niemand schlich suchend an den Schaufenstern der Läden auf beiden Seiten entlang. Ich schaute auf die andere Straßenseite eingedenk der Tatsache, dass wenn dieser Kerl halbwegs gut war, er sich einen Platz ausgesucht hätte, wo er auf den ersten flüchtigen Blick nicht auffallen würde.
Auf den ersten Blick nicht. Aber auf den zweiten, denn BINGO !, da war er. Genau gegenüber dem Laden, den ich betreten hatte, befand sich ein Stand, an dem geröstete Nüsse verkauft wurden. Es war jene Art von Straßenhandel, vor dem amerikanische Touristen sich mit besonderer Vorliebe fotografieren lassen in der irrigen Meinung, dass dies ein Teil des reichhaltigen kulturellen Londoner Erbes ist, weil man dort sowohl fades Essen wie auch einen dummdreisten, fröhlichen Cockney antraf. Der Mann im schwarzen Mantel hatte sich einen Platz hinter dem Verkaufsstand gesucht, wo er von zwei Seiten nicht zu sehen war und von der anderen Seite das Bild eines Mannes bot, der geduldig auf seine Portion frisch gerösteter Nüsse wartete. Er wandte sich zu drei Vierteln von mir ab, so dass ich hauptsächlich seinen Nacken sah und noch immer nicht feststellen konnte, ob ich ihn früher schon mal gesehen hatte.
In genau diesem Moment, als ich ihn beobachtete und ihn in Gedanken aufforderte, sich umzudrehen, machte sich das Mobiltelefon in meiner Tasche bemerkbar wie ein lebendiges Wesen. Kein Laut ertönte. Ich hatte vor einer Weile, als aus irgendeinem Grund Lautlosigkeit geboten war, den Vibrationsalarm eingeschaltet, und irrte jetzt ziellos durch die Menüs, als ich versuchte, den Tonalarm wieder zu aktivieren. Aber ganz gleich, ob der Alarm eingeschaltet war oder nicht, der Ruf kam aus dem Nichts und ließ mich zusammenzucken. Und es war, als hätte diese winzige Bewegung meinen Verfolger aufmerksam gemacht, obgleich er in eine völlig andere Richtung blickte. Sein Kopf ruckte hoch und herum, auf irgendein Signal hin, dessen Herkunft mir völlig schleierhaft war, und dann drehte sich sein Körper ebenfalls, so dass er genau in meine Richtung blickte.
Es war gespenstisch und beängstigend. Das war auch sein Gesicht, nun da ich es deutlich sehen konnte, denn es war Zucker.
Verdammte Scheiße! Diese Typen folgten mir mit unverschämter Leichtigkeit quer durch London. Das könnte ich verstehen, wenn ich eine Reklametafel trüge wie der durchgedrehte Vegetarier, der immer am Oxford Circus herumhing ( OHNE PROTEIN KEIN SEX ), aber Unauffälligkeit ist meine zweite
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