Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Natur, und ich bin stolz auf die absolute Zuverlässigkeit meines professionellen Radars. Hatten sie das Büro überwacht? Oder die
Collective
? Wo hatte ich sie auf mich aufmerksam gemacht, und wie waren sie zweimal so dicht an mich herangekommen – oder sogar dreimal, wenn ich das Oriflamme mitzählte –, ohne dass ich sie bemerkt hatte?
Das war ein Rätsel für einen ruhigeren Moment. Im Augenblick starrte Zucker mich quer über die Straße an, und selbst wenn sich der Menschenstrom immer wieder zwischen uns schob, war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass er mich nicht entdeckt hatte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ergriff die Flucht.
Wenn man »Jagt den Anführer« in einer Umgebung spielt, die man beim Militär als »unebenes Gelände« kennt, liegen sämtliche Vorteile auf Seiten des Anführers, solange er die Nerven behält. Indem ich mich mit gesenktem Kopf durch die wogenden Menschenmassen schlängelte, kam ich schnell voran, bis ich die Mündung einer weiteren Gasse erreichte. Dann löste ich mich aus dem Gedränge, sprintete hindurch und gelangte auf die Brunswick Gardens. Hier war der Menschenstrom noch dichter, denn ein Straßenmarkt war im Gange, und die Straße war für den Durchgangsverkehr gesperrt worden. Blecherne Musik drang aus einem basslautsprecherlosen Ghettoblaster und hallte durch die Luft, die mit dem Duft von gebrannten Mandeln und Vanilleschoten geschwängert war. Die Stände und Buden, in denen vorwiegend Antiquitäten und Sammlerstücke, aber auch T-Shirts, Süßwaren, Gewürze und raubkopierte DVD s angeboten wurden, besetzten die Bordsteine auf beiden Seiten und ließen den Passanten die Wahl zwischen den schmalen, mit Hindernissen übersäten Gehsteigen und dem hektischen Gedränge der Kauflustigen in der Fahrbahnmitte.
Perfekt.
Ich zwängte mich zwischen zwei Buden hindurch, überquerte die Straße und ging auf der anderen Seite weiter. Dann, nach fünfzig Metern, wechselte ich wieder die Straßenseite und eilte, die Knie gebeugt, um den Kopf so tief wie möglich unten zu halten, hinunter zur Straßenecke, wo die Kensington Church Street nach einer lang gestreckten Kurve wieder zurückschwenkte und die Fortsetzung der Marktstraße bildete. Dort mischte ich mich wieder unter die ein wenig gesittetere Schar der Antiquitätenjäger. Okay, ich hatte einen Richtungswechsel von einhundertachtzig Grad vollzogen und müsste eine andere Route benutzen, um nach Hause zu kommen, aber ich ging davon aus, dass niemand auf Gottes schöner Erde mich während dieses Manövers ständig hatte im Auge behalten können.
Daher war es wie ein Tritt in die Magengrube, als ich in der Station High Street Kensington in einen U-Bahn-Zug nach Osten einstieg und auf der anderen Seite der Barriere den mittlerweile vertrauten schwarzen Mantel und den schlurfenden, gebückten Gang entdeckte. Der Zug wartete, die Türen geöffnet, darauf, dass ein Signal die Fahrt freigab, oder auf irgendein spezielles Zeichen der Londoner U-Bahn. Eingekeilt in einen Trupp Stehplatzinhaber und ihre interessanten Kollektionen von Achselhöhlen, konnte ich nichts anderes tun, als still zu stehen und zu beobachten. Zucker ging draußen an mir vorbei, den Kopf gesenkt und ohne irgendwelche sichtbare Eile. Dann, genauso wie vorher auf der Straße, schaute er hoch – erst nach links, dann nach rechts und mir dann direkt in die Augen, während sich die Türen mit einem Zischen schlossen.
Unsere Blicke trafen sich. Er hätte wütend oder belämmert oder verblüfft sein können, aber er war nichts von all dem. Er lächelte nur und entblößte ein Gebiss, das anscheinend ein paar Fangzähne zu viel enthielt. Ich erwiderte das Lächeln, spöttisch triumphierend. Dann glitten die Türen wieder auf, und das Lächeln rutschte aus meinem Gesicht abwärts wie klumpige Vanillesauce.
Zucker machte einen einzigen Schritt auf mich zu. Er schaffte keinen zweiten, denn mit der Kraft aufbrandender Panik packte ich den Kerl, der neben mir stand – seinem schicken Anzug nach zu schließen einer dieser jungen Wilden, wie man sie zahlreich in der City antrifft – an den Schultern und stieß ihn aus dem Zug. Er kollidierte mit Zucker. Der junge Mann stolperte und kämpfte mit rudernden Armen um sein Gleichgewicht. Zucker wollte zuerst um ihn herum gehen, fegte ihn dann jedoch mit einer einzigen Handbewegung beiseite. Dieses Handgemenge dauerte nur ein oder zwei Sekunden, dann lag der elegante Alfieri-Zwirn im Dreck, und Zucker kam ungehindert
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