Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
auf mich zu.
Aber diese Sekunden zu gewinnen, hatte sich gelohnt. Die Türen schlugen wieder vor seiner Nase zu, und der Zug rollte aus dem Bahnhof. Sekunden später wurde die Tunneleinfahrt hinter dem Zug immer kleiner und schloss die Szene wie ein magischer Vorhang.
Ich war Jäger, und ich wurde gejagt. Irgendetwas fehlte. Und wenn diese Typen Katholiken waren, dann wollte ich meine Tin Whistle fressen und das
Halleluja
von Händel furzen. Um die Wahrheit zu sagen, die ganze Angelegenheit schlug mir allmählich aufs Gemüt.
Desgleichen die Stehplatzfahrt im Zug – zuerst mit der Circle Line, dann mit der Piccadilly – zur Turnpike Lane. Ich war mittlerweile hundemüde, und hinter meinen Augen machte sich eine juckende Hitze bemerkbar, die, wie ich aus Erfahrung wusste, einen Fieberschub ankündigte. Meine linke Schulter schmerzte wieder, so dass ich mich die ganze Zeit mit der Rechten am Handlauf festhalten musste. An der Station Caledonian Street meldete sich auch noch ein Krampf im rechten Arm. Kein Zweifel, ich war angeschlagen. Ich musste mich schnellstens in einem dunklen Zimmer hinlegen, bis mein Körper sich entschied, mich nicht weiter für den Missbrauch zu bestrafen, den ich ihm in den letzten beiden Tagen zugemutet hatte.
Stattdessen erwartete mich eine Verabredung zum Abendessen mit Juliet und danach eine Tasse Tee und Biskuits mit Rosie Crucis. Beidem fühlte ich mich nicht gewachsen.
Wie sich jedoch herausstellte, machte ich mir unnötige Sorgen, denn der Abend sollte einen völlig anderen Verlauf nehmen. Ich kehrte zu Pen zurück und fand das Haus verlassen vor, was mich nicht überraschte – wahrscheinlich war sie unterwegs und genoss ihr Leben. Ich duschte, um mich von Schweiß und Schmerzen zu befreien und etwas anzuziehen, das besser zu einem freundschaftlichen Treffen mit der erotisch aufregendsten, liebenswürdigsten Höllenbrut der Stadt passte. Ich entschied mich für ein schlichtes weißes Oberhemd, eine burgunderrote Krawatte und eine schwarze Cargohose. Oh, und einen frischen Verband für meine Schulterwunde, die leicht zu nässen begonnen hatte. Eitergelb und Burgunderrot war eine Farbkombination, mit der ich mich kaum in der Öffentlichkeit zeigen konnte.
Schließlich erinnerte ich mich an den Telefonanruf, den ich früher erhalten hatte, und hörte den Anrufbeantworter ab. Es gab keine Nachrichten, aber die Anzeige für entgangene Anrufe lieferte mir Pens Mobilfunknummer. Ich rief zurück, aber sie meldete sich nicht, daher hinterließ ich ihr eine Nachricht, dass ich sie angerufen hatte und in der nächsten Stunde erreichbar sei. Das Telefon klingelte etwa zehn Sekunden später.
»Fix, ich bin’s.« Pens Stimme klang beinahe hysterisch. »Ich bin im Stanger. Du musst sofort rüberkommen. Es geht um Rafi, Fix!«
»Was ist mit Rafi?«, fragte ich, während mir das Herz in die Schuhe sackte.
»Nichts!«, sagte sie. »Nichts!« Und dann ging ihre Stimme für einige Minuten in einer Tränenflut unter.
9
Rafi weinte lange, und es war eine Qual, ihm dabei zuzuschauen – aber seine augenblickliche Ruhe war auf gewisse Art und Weise noch schlimmer. Sie hatte einen Beigeschmack von Granatenschock.
»Zwei Jahre! Zwei verdammte Jahre! Nein, das ist nicht – das ist noch nicht einmal lustig.« Er schüttelte den Kopf und rannte wieder vor diese solide Mauer des Nichtbegreifens – er konnte es einfach nicht glauben.
Pen saß neben ihm auf dem verblichenen Sofa: eng umschlungen mit ihm und sich an ihn klammernd, als sei er eine Rettungsweste und als treibe sie in einem stürmischen Ozean. Sie weinte ebenfalls und wiederholte seinen Namen, sobald sie zwischen heftigen Schluchzern kurz Luft holen konnte. Er sah mich über ihren Kopf mit einem Blick an, in dem stummes Grauen und verzweifeltes Flehen lagen.
»Es fühlt sich an, als sei ich eingeschlafen und dann aufgewacht«, murmelte er. »Ich war in dieser grässlichen Wohnung in der Seven Sisters Road. Du warst dort, Fix, ich habe mit dir geredet, und aus irgendeinem Grund habe ich mich … ich glaube, hingelegt oder so. Auf jeden Fall warst du über mir und hast auf mich runtergeschaut. Dann schloss ich die Augen und … ich hatte wirklich schlimme Träume. Als sei es ein Film, aus dem man schreiend aufwacht, aber wenn man es versucht, kann man ihm nicht entfliehen.« Ihm kam ein neuer Gedanke. »Ginny. Hat Ginny all das gesehen? Wo ist sie? Ist sie draußen?«
»War sie das Mädchen?«, fragte ich, und er nickte. Ich erinnerte
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