Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
fiel. »Ein Messer. Ich fand es zwischen einigen Objekten, die meinem Onkel gehörten.«
»Gehörten?«
»Er ist verstorben.«
»Oh, Sie Armer.« Und nur einen Herzschlag später: »Lassen Sie mal sehen.«
Ich holte die Pappröhre hervor, ließ das Messer vorsichtig auf meine Handfläche gleiten und reichte es ihr mit dem Griff zuerst. Caldessa gab einen unterdrückten Laut des Erstaunens von sich, als sie es erblickte, dann hielt sie es mit gestrecktem Arm von sich weg, um es besser betrachten zu können. Die Klinge sah bei Tageslicht keinen Deut netter aus als im Soho Square nach Mitternacht. Es war eine Waffe, die möglichst effektiv stechen und schneiden sollte, allerdings in alles andere als den Sonntagsbraten.
»Die Klinge ist hohlgeschliffen«, sagte sie. »Deshalb ist sie so dünn und scharf – und das ist auch einer der Gründe, weshalb das Messer älter aussieht als es ist. Ein Hohlschliff opfert alles dem einzigen Ziel, eine möglichst scharfe Schneide zu erhalten. Daher nutzt es sich sehr schnell ab, wenn es nicht vorher zerbricht. Der andere Grund, weshalb es alt aussieht, ist der, dass es im Gegensatz zu den meisten modernen Messern keinen Kropf hat.«
»Einen Kropf?«
»Das ist das verdickte Stück direkt über dem Griff.«
»Es wurde jedoch nicht maschinell hergestellt«, hob ich hervor.
Sie schaute hoch und musterte mich mit einem kühlen, fragenden Blick. »Wie kommen Sie darauf?«, wollte sie wissen.
Ich zeigte ihr, was ich meinte. »Wenn man es ins Licht dreht, erkennt man an den Reflexen die Schleifspuren auf dem Stahl. Sie sind nicht gleichmäßig.«
Caldessa nickte wie eine Lehrerin, die mich dafür lobte, dass ich trotz meines begrenzten Wissens die richtigen Schlüsse gezogen hatte. »Das ist richtig«, sagte sie. »Obgleich einige maschinell hergestellte Klingen anschließend aus verschiedenen Gründen von Hand nachbearbeitet werden.«
»Und die wären?«
»Zum Beispiel um dem Käufer vorzugaukeln, dass er ein von Hand gefertigtes Objekt erwirbt.« Ich schlug mir mit der Hand Homer-Simpson-mäßig vor die Stirn, und sie lächelte knapp. »Ja, es ist ein schmutziges Geschäft. Meiden Sie es, mein Lieber, wenn Sie sich Ihre Illusionen über die menschliche Natur erhalten wollen.« Sie strich sehr vorsichtig mit dem Daumen über die Schneide. »Es könnte durchaus von Hand hergestellt worden sein, wobei es, wenn es das wäre, von jemandem angefertigt wurde, der ein extrem gutes Auge gehabt haben muss. Achten Sie auf die Dicke. Nicht die geringste Unregelmäßigkeit über die gesamte Länge der Klinge. Das ist zwar von Hand zu schaffen, aber erheblich einfacher mit einer elektrischen Schleifmaschine.
Nun zum Holz …« Sie rieb anerkennend den Griff. »Das ist schön. Sehr schön. Amboinamaserung. Südostasiatisch. Wenn man den lebenden Baum betrachtet, würde man nie vermuten, dass sein Kernholz einen solchen roten Schimmer hat. Die Borke ist so grau wie mein Haar.
Aber hieran erkennt man es.« Caldessa tippte auf die Zeichnung an der Angel der Klinge – das kunstvolle Blumenmuster, dem mein größtes Interesse galt. »Maschinell geätzt«, sagte sie. »Die Elektrolytlösung hinterlässt auf dem Stahl winzige Farbspuren, die im Laufe weniger Jahre an Intensität zunehmen und sich dann stabilisieren, es sei denn, der Stahl selbst ist fehlerhaft oder sie wurde nicht fachgerecht neutralisiert. In diesem Fall erscheint ein grünlicher Schimmer auf dem Grund der stärkeren Linien – wie hier, zum Beispiel. Dies wurde mit einer industriellen Ätzvorrichtung ausgeführt. Benutzt wurden dazu ein Kupfer- und ein Bronzeelektrolyt sowie eine Neutralisation auf Natriumbasis. Es ist eigentlich enttäuschend, weil das Messer insgesamt ein schönes Exemplar ist. Aber …«, sie legte das Messer auf die Theke, drehte es um und schob es mit dem Griff voraus zu mir herüber, »… nicht mehr als fünfzig Jahre alt, wenn Sie mich fragen. Und jetzt bei Weitem nicht mehr so viel wert wie in völlig neuem Zustand.«
Ich tippte auf die Angelwurzel der Klinge. »Haben Sie diese Zeichnung irgendwo schon mal gesehen?«, fragte ich sie.
Sie runzelte die Stirn. Möglicherweise erschien ihr die Frage aus dem Mund eines trauernden Neffen ungewöhnlich. »Nein«, meinte sie. »Auf jeden Fall nicht auf einer Messerklinge. Ich erkenne jedoch die Pflanze, die dargestellt wurde.«
»Tatsächlich?« Ich war beeindruckt. »Warum?«
»Weil ich mit Antiquitäten handle, mein Lieber. Es gibt bei Blumenmotiven
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