Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Lfloxchatl zu spielen war lediglich den Frauen des Stammes gestattet. Ziel des Spiels war es, einen Neugeborenen, stets Abkömmling einer adeligen Dame, so über das geflochtene Netz zu heben, zu werfen, zu pritschen (
pritscholatl
), dass der adelige Spross das eigene Spielfeld wohlbehalten verließ und drüben genauso wohlbehalten ankam. Pro Mannschaft waren drei Berührungen erlaubt. König durfte folgerichtig nur werden, wer als Königssäugling mindestens sieben solcher Spiele ohne Schaden überstanden hatte. Erfunden wurde dabei das Pritschen, also das sambaweiche Aufnehmen des zukünftigen Regenten mit allen zehn Fingern und das blitzartige Weiterspielen zur nächsten Spielerin. Auch die Annahme von unten, das Baggern (
baqatl
), ist auf den Inkaterrassen Perus entstanden. In einigen Tälern um Pisaq und Cuzco wird heute noch Lfloxchatl gespielt, und der peruanische Volleyballverband stellt beim IOC immer wieder Anträge, auf dass die Disziplin des ursprünglichen Volleyballs olympisch würde. Vergeblich. Sture Beamtenköpfe.
Tom war unter den Seinen begraben. Mühsam machte er sich frei.
»Revanche!«, keuchte einer der PC ler. »Wir mussten gegen die Sonne spielen. Wir hatten die Natur gegen uns.«
»Windows hatte von Anfang an die Natur gegen sich«, sagte einer.
Alle trabten die paar Meter über die Wiese zum Wasser und sprangen hinein. Nur die vergipste Mona blieb am Beckenrand stehen. Tom tänzelte um sie herum.
»Und? Was machen wir heute Abend?«
Die Antwort ging im Geschrei derer unter, die jetzt wieder aus dem Wasser auftauchten und sich an den Beckenrand prusteten.
Tom, Mona, Bastian, Leon, Finn, die unbewegliche Meyer und all die anderen – sie trafen sich nur einmal im Jahr, meist im August, und meist hier im Freibad des Kurorts. Das hatte inzwischen Tradition. Begonnen hatte es vor Jahren. Damals, als sie noch Kinder waren, waren sie von ihren Eltern mitgeschleppt worden zu deren Abi-Treffen. Der Vater von Tom Fichtl organisierte die Treffen, die Eltern hatten immer ihren Spaß, für die Jungen war es der blanke Horror: Wanderungen, kirchenhistorische Exkursionen, literaturgeschichtliche Spaziergänge. Und immer wieder Geschichten und Anekdoten von früher. Alles, was überhaupt nicht samba war. Gespräche über Karrierestau, Verbeamtung, Börsencrash, sicheren Vermögensaufbau mit ukrainischen Immobilien. Superätzend. Doch dann der Umschwung: Viele von ihnen waren Freunde geworden. Sie begannen sich schließlich auf die Klassentreffen der Alten zu freuen. Als sie abrupt ins Teenageralter stolperten, war ihnen erlaubt worden, sich abzusondern von der Gruppe der vierzigjährigen Greise, und irgendwann hatten sie die Gelegenheit genutzt, zur gleichen Zeit, aber völlig getrennt von den Erzeugern, ein eigenes, viel cooleres Treffen abzuhalten. Das meiste wurde ganz anders, diametral entgegengesetzt gestaltet, aber einiges wurde auch übernommen. Das Volleyballspiel zum Beispiel. Die Eltern waren wegen einiger Bandscheibenvorfälle kaum mehr spielfähig. Die jungen Wilden schon. Samba, rumba, tango.
Klatschnass stiegen sie aus dem Wasser. Tom, Leon und Torsten teilten sich eine Liege. Nnpf, Nnpf. Mona Gudrian, die mit dem Gipsarm, sprang von ihrem Handtuch auf.
»Ich ruf mal meinen Vater an«, sagte sie. Sie kramte in ihrer Badetasche. »Ach, verdammt, ich hab ja das Smartphone gar nicht bei mir.«
»Verloren?«
»Nein, nicht verloren. Ich weiß schon, wo es ist. Mein altes Handy liegt in Toms Auto.«
»Eigentlich
die
Idee!«, rief Bastian Eidenschink und hob die Bierflasche prostend hoch. »Lasst uns mal alle unsere Alten anrufen, dann sind die wenigstens beruhigt und stressen später nicht.«
Alle griffen zu ihren Handys.
»Hallo, Dad, wie siehts aus? – Warum gehst du nicht ran? – Wenn du am Gipfel bist, mach mal ein paar Bilder und schick sie uns runter. Wir machen jetzt noch ein Spiel. Tschüs.«
»Hier ist Sven. Mutter, ruf zurück, damit wir wissen, dass ihr nicht in irgendeine Felsspalte gefallen seid. Tschüs.«
STAATSANWALTSCHAFT MÜNCHEN II
Antonia Beissle ./. Jahrgang 82 / 83
Aktenzeichen 45 . 85 C/f
Erneute Wiedervorlage
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Bezug auf das Schreiben von Herrn Harald Fichtl vom vergangenen Monat und im Vorgriff auf die am Freitag, den 9 . August dieses Jahres stattfindende Gedenkveranstaltung zum 30 . Jahrestag der Erlangung der Hochschulreife mache ich eine diesbezügliche Zusage meinerseits abhängig von
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