Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
Fluss gelegen und mit ein paar hübschen alten Mauern. Zurzeit versucht man, diesen Ort für den Tourismus attraktiv zu machen. Irgendeine Immobiliengesellschaft kam plötzlich mit dem Angebot, eine luxuriöse Urlaubsanlage mit Golfplatz zu bauen. Jede Villa sollte ihren eigenen Swimmingpool haben, und es werde an nichts gespart, hieß es.«
Das Wasser kochte. Lemontin machte Kaffee und führte Bruno in sein Büro, das gleich neben der Küche lag und einen atemberaubenden Blick auf den Fluss bot. Aber ein Sessel, auf dem man die Aussicht hätte genießen können, fehlte. Da waren nur ein Schreibtischstuhl und ein einfacher Holzstuhl neben dem Aktenschrank. Auf dem Schreibtisch befanden sich ein Telefon, ein Laptop und ein Notizblock, an dessen Rand, präzise ausgerichtet, ein frisch angespitzter Bleistift lag. In einem Bücherregal reihten sich die Telefonbücher der letzten zehn Jahre. Seltsam, dachte Bruno, der eine solche Sammlung noch nie gesehen hatte. An den Wänden hingen weder Bilder noch Poster, nur ein billiger Kalender, den die Bank jedes Jahr herausgab. Bruno fand die pedantische Ordnung, die in diesem Raum herrschte, einigermaßen befremdlich, fasste aber gleichzeitig Vertrauen in Lemontins Zuverlässigkeit.
»Es sieht so aus, als würde auch uns ein gutes Geschäft angeboten«, sagte Bruno und nahm auf dem Holzstuhl Platz, nachdem er ihn vor das Fenster gerückt hatte, um nach draußen blicken zu können. »Vom selben Immobilienunternehmen?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Lemontin. »Jedenfalls unter anderem Namen. Der Bauherr in Thivion nennt sich Gondrin Investissements, der bei uns Mortemart Investissements. Aber in den Vorständen sitzen zum Teil dieselben Personen, und die Bank, mit der sie arbeiten, ist auch dieselbe. Vielleicht sollten Sie sich mit den Betroffenen in Thivion einmal selbst unterhalten, aber was man uns versprochen hat, kann ich Ihnen zeigen.«
Er öffnete den Aktenschrank, zog einen dicken Ordner daraus hervor und reichte Bruno eine Architektenzeichnung eines umfangreichen Bauvorhabens, sehr ähnlich der, die Bruno im Büro des Bürgermeisters gesehen hatte.
»Und so sieht die Wirklichkeit aus«, sagte Lemontin und reichte Bruno ein Foto, auf dem ein- und zweigeschossige kasernenartige Gebäude auf engstem Raum zu sehen waren, dazu eine Art Freibad samt riesigem Parkplatz. Der offenbar frische Anstrich der Häuser ließ jede Menge Graffitispuren durchschimmern.
»Versprochen war ein 18-Loch-Golfplatz, doch am Ende gab’s nur eine Minigolfanlage«, fuhr Lemontin fort. »Und diese Häuser sind wohl alles andere als luxuriöse individuelle Villen. Jedenfalls hat die Gemeinde von Thivion jetzt einen Berg Schulden.«
Thivion hatte sich verpflichtet, die Planfeststellung durchzuführen, Baugenehmigungen zu erwirken und für die gesamte Erschließung zu sorgen, das heißt für einen Straßenanschluss, Frischwasserleitungen und Abflusskanäle, Strom-, Gas- und Telefonleitungen. Sie hatte also in Vorleistung treten müssen, ehe das eigentliche Bauvorhaben in Angriff genommen werden konnte. Als dann aber die Straße gebaut und die Abwässerkanäle verlegt waren, ließ Gondrin verlauten, dass eine Übernahme durch ein anderes Unternehmen stattgefunden habe und die Originalpläne zusammengestrichen worden seien. Trotzdem verlangte das neue Unternehmen weitere Investitionen und Garantien von der Stadt. Die hatte schon fast eine Million Euro aufgebracht und musste widerwillig zustimmen, damit das Projekt überhaupt fortgesetzt werden konnte.
»Und das, was Sie da sehen, ist das Ergebnis, womit sich die Stadt bislang zwei Millionen Euro Schulden eingehandelt hat«, sagte Lemontin und zeigte auf das Foto. »Die Anlage ist als Feriensiedlung für benachteiligte Familien an eine der schlimmsten banlieues von Paris verpachtet. Weiß Gott nicht die wohlhabende Kundschaft, die Thivion versprochen worden war.«
»Wie sind die Schulden zustande gekommen?«, wollte Bruno wissen.
»Abgesehen von den Kosten für Straßen und Tiefbau«, erklärte Lemontin, »musste die Stadt auch für Anwaltsgebühren und Architektenhonorare aufkommen. Außerdem hatte Gondrin ihr noch eine Rechnung über zusätzliche Aufwendungen aufgemacht. Das war die erste Million. Das neue Unternehmen verlangte dann eine weitere Million als Finanzhilfe für den Bau der scheußlichen Kästen und drohte damit, sich bei Nichtzahlung aus dem Projekt zurückzuziehen. Um wenigstens den dürftigen Rest zu retten, stimmte der
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