Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
in der Nacht darauf war der Schwindel in der Grotte inszeniert worden – eine beachtliche Leistung, die Bruno unter anderen Umständen bewundert hätte.
»War meine Tochter die ganze Zeit im Hotel?«, fragte Junot jetzt.
Bruno zuckte mit den Achseln. »Bis heute früh, als Sie mich geweckt haben, hatte ich keine Ahnung, dass sie nicht mehr bei Ihnen wohnt.«
»Immerhin ist es nicht weit bis zu unserem Hof. Selbst wenn sie dort bleiben sollte, kann sie immer mal auf einen Sprung bei uns vorbeikommen.«
»Irgendwann werden Kinder flügge und verlassen das Nest«, entgegnete Bruno. Aber dann fiel ihm ein, dass Junot selbst den elterlichen Hof nie verlassen hatte und von seiner Tochter womöglich erwartete, dass sie ihn übernehmen würde, um ihn später an ihre Kinder weiterzugeben. Doch selbst im Périgord, wo Tradition großgeschrieben wurde, zog es immer mehr junge Menschen in die Städte. Und nach dem, was Bruno über Francette gehört hatte, konnte er sich kaum vorstellen, dass sie bereit war, den armseligen Betrieb ihrer Eltern zu übernehmen.
»Hat Ihr Besuch einen bestimmten Grund, oder wollten Sie nur mal vorbeischauen?«, fragte Béatrice, die ins Foyer geeilt kam, kurz nachdem Bruno sich bei Cécile am Empfangsschalter angemeldet hatte. »Nach der großen Gesellschaft gestern Abend sind wir leider immer noch mit Aufräumen beschäftigt.« Ihr Blick fiel auf Junot, der in seiner verdreckten Kluft wie ein Wilderer aussah.
»Darf ich vorstellen? Das ist Monsieur Louis Junot aus Saint-Denis. Er glaubt, dass seine junge Tochter Francette bei Ihnen wohnt, und möchte sich vergewissern, dass es ihr gutgeht. Er würde sie gern wieder zu sich nach Hause holen, aber ich habe ihm gesagt, dass die Entscheidung allein bei ihr liegt.«
Béatrice musterte Junot kühl. »Das ist also der Mann, der Frau und Tochter schlägt.« Auch ohne sich umzudrehen, spürte Bruno förmlich, wie Junot die Fäuste ballte, und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Warum erlauben Sie Monsieur Junot höflicherweise nicht einfach, seine Tochter zu sehen.«
»Wäre es nicht höflicher gewesen, mir Ihren Besuch telefonisch anzukündigen?«, gab Béatrice zurück.
Bruno zog sein Handy aus der Tasche und zeigte ihr die Anrufliste. »Wie Sie sehen, habe ich Sie heute Morgen schon zweimal anzurufen versucht. Ich kann nichts dafür, wenn Ihr Handy ausgeschaltet ist.«
Sie senkte den Blick in gespielter Zerknirschung. »Verzeihen Sie, aber ich hatte heute früh viel zu tun. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich bei der Begegnung von Vater und Tochter dabei bin? Nein? Dann kommen Sie doch bitte mit in mein Büro.«
Sie bat Cécile, Francette zu rufen, und ging voran zu einer kleinen, aber gut sortierten Bar mit einer holzvertäfelten Sitznische, in der es nach teuren Zigarren roch. Daneben führte eine Tür in einen großen Büroraum, wo zwei schwarzgekleidete junge Frauen vor Computern saßen. Hinter einer weiteren Tür befand sich Béatrice’ Büro, das mit Orientteppichen ausgelegt war. Vor einem modernen Schreibtisch standen zwei einfache Stühle, auf die sie Bruno und Junot Platz zu nehmen bat, doch Bruno wollte lieber stehenbleiben.
»Laut ihrem Personalausweis ist Ihre Tochter volljährig und kann darum selbst bestimmen, wo sie arbeiten und wohnen will«, wandte sich Béatrice an Junot. Der kaute an seiner Unterlippe und schaute hilfesuchend zu Bruno auf, der ihm aufmunternd zunickte.
Es dauerte nicht lange, und Francette kam zur Tür herein. Sie übersah die zaghaft ausgestreckte Hand ihres Vaters und stellte sich, von Béatrice herangewinkt, hinter den Schreibtisch. Sie wirkte so ganz anders als die ordinär geschminkte Supermarkt-Kassiererin, an die sich Bruno erinnerte. Jetzt waren ihre Haare professionell gestylt, das Make-up dezent. Sie schien sich auch anders zu bewegen, und das schwarze Seidenkleid, das sie trug, stand ihr ausgesprochen gut. Obwohl sie ein bisschen müde wirkte, war sie hübsch wie nie zuvor.
» Bonjour, Francette«, grüßte Bruno. »Wie geht’s?«
»Ça va«, sagte sie. »Schön, Sie zu sehen, Bruno.« Sie lächelte und streckte ihm ihre Hand entgegen. Sogar ihre Stimme hatte sich verändert; sie klang tiefer und voller. Außerdem sprach sie langsamer.
»Mir wurde gesagt, mein Vater will wissen, wie es mir geht«, fuhr sie zögernd auf ein Zeichen von Béatrice hin fort. »Wie Sie sehen, geht es mir prima. Ich habe hier einen guten Job und will auf keinen Fall nach Hause zurück – nicht zu
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