Femme Fatales
der stetig drängender wurde und sich durch nichts, was in ihrer Macht stand, besänftigen ließ.
Für einige Zeit regte sich eine verrückte Hoffnung auf irgendein Wunder in ihr. Irgendwann, so malte sie sich aus, würden wirkliche Polizisten mit Maschinengewehren und Skimasken durch eine der beiden Türen in den Raum stürmen, um sie zu befreien. Und das erste, was man ihr anbot, nachdem man sie von ihren Fesseln befreite, würde ein großer Schluck klaren kalten Wassers sein.
Die beiden Türen blieben jedoch geschlossen.
Irgendwann begann Milena sich zu fragen, was nun eigentlich Wahrheit und was Alptraum war, und ob sie womöglich hier in diesem verdammten Stuhl gelandet war, nicht trotz, sondern gerade weil sie sich derart bemüht hatte, in ihrem Leben stets alles richtig zu machen.
Die groteske Grimasse, die ihr dabei aus den beiden Spiegeln entgegenblickte, machte auch nichts einfacher für sie, obwohl sie sich irgendwann beinah an ihren Anblick gewöhnt hatte.
Sie versank wieder in jenen Dämmerzustand irgendwo zwischen Schlaf und Halbschlaf, doch hielt der nie lange vor, da ihr quälender Durst immer wieder die Oberhand gewann und sie zurück in die Realität, zurück zu den beiden Spiegeln und ihrem Bild darin zwang.
Man ging schlafen. Man stand wieder auf. Putzte sich die Zähne, duschte, frühstückte und ging zur Arbeit in irgendein Büro, ein Amt, eine Firma oder Fabrik.
Man aß, man trank, man traf Freunde, oder setzte sich mit Angetrauten und Kindern auseinander.
Ab und an mochte man von irgendwelchen finanziellen, beruflichen oder gesundheitlichen Sorgen geplagt werden.
Ab und an feierte man einen Erfolg. Und ab und zu steckte man eine Niederlage ein. Manchmal ging man zu Hochzeiten und zuweilen zu einer Beerdigung oder einer Kindstaufe.
All dies machte das Leben in einer Stadt wie Paris für die meisten ihrer Bewohner aus. Dies war es, woraus der Film eines ganz gewöhnlichen Lebens wirklich bestand , aber vor allem auch bestehen sollte .
Milenas Film hatte sich bis zu diesem Donnerstagnachmittag nicht von dem anderer Leute unterschieden. Trotzdem fand sie sich jetzt von Durst und Gliederschmerzen gequält an diesen Stuhl fixiert wieder, hilflos dazu verdammt, sich selbst in diesen beiden Spiegeln zu betrachten.
Hatte sie auf irgendeine Weise vielleicht sogar herausgefordert, was ihr zugestoßen war? Denn dies verdient hatte sie nicht - soweit wäre sie niemals gegangen dies anzunehmen.
Aber sie war auch nicht unschuldiger oder rücksichtsvoller, als die meisten anderen ganz gewöhnlichen Leute. Und möglicherweise, dachte sie erschrocken, reichte das ja in gewisser Weise bereits aus, sie für das Unglück zu qualifizieren, das über sie hereingebrochen war.
Oder, meinte sie gleich darauf, war das einfach nur Unsinn, diktiert von Durst, Angst und Schmerz?
Vielleichtwar sie ja gar nicht die, für die sie sich immer gehalten hatte. Womöglic h entsprach die groteske Grimasse da in den Spiegeln viel eher ihrer wahren Natur: Ein Wesen, derart hilflos und schwach, dass es per se jedem hilflos ausgeliefert war, der genug Mut, Entschlossenheit und Brutalität aufbrachte, damit zu tun und zu lassen, was ihm gerade gefiel.
Entsprach dies der Wahrheit, dann bildeten die Beteuerungen von Menschenwürde, Gerechtigkeit und Gleichheit, mit denen man sie ihr ganzes Leben lang gefüttert hatte, wirklich nur fromme Lügen. Das Leben war, was man selbst daraus machte – was für ein scheiß Witz, dachte Milena bitter.
Dein Leben fickte Dich und zwar grundsätzlich immer dann, wenn Du es am wenigstens erwartet oder gar verdient hättest.
Baut DAS doch mal in Eure Sonntagsreden ein. Mal sehen, wie weit ihr damit kommt, all ihr Pfarrer, Priester, Ärzte, Politiker und Hilfsheiligen.
Ohne Vorwarnung verlöschte das Licht.
Milena sah sich wieder jener absoluten Finsternis ausgesetzt.
Doch diesmal traktierte man sie weder mit Fragen, noch mit den Aufzeichnungen der Kamera, nachdem das Licht schließlich für wenige Sekunden wieder aufflammte, nur um dann erneut für unbestimmte Zeit zu verlöschen.
Dann wieder Licht.
Erneut Finsternis.
Die Abstände kürzer jetzt. Womöglich nur Bruchteile von Sekunden.
Licht.
Finsternis.
Licht.
Finsternis.
Licht.
Finsternis.
Milenas Bild in den beiden Spiegeln, das ihr während jener kurzen Augenblicke greller Helligkeit noch bizarrer vorkam, als zuvor. Sich wie ein Standbild aus einem grotesken Horrorfilm in ihre Netzhaut brannte. Längst waren ihr Mund
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