Femme Fatales
war: Man hatte die Kamera wohl gerade deswegen jetzt in Gang gesetzt, um ihre Hilflosigkeit in dieser Situation zu dokumentieren. Der Grad an kalkulierter Bosheit, der damit einherging, war schlicht atemberaubend.
Dass sie nach Nummer EINS Stippvisite nur umso verbissener ihren Harndrang zu ignorierenversuchte, erhöhte diesen nur noch.
Schließlich wurde ihr klar, dass es nichts gab, was sie der Demütigung sich in diesem verdammten Stuhl vor laufender Kamera einzunässen, noch entgegensetzen konnte. Doch ironischerweise dauerte es selbst nach dieser bedingungslosen Kapitulation noch eine gewisse Zeit, bis sie fähig dazu war, sich wirklich gehen zu lassen.
Als es soweit war, sich ihre Blase endlich öffnete, geschah dies nur unter ziehenden Schmerzen. So heftig waren die, dass Milena zunächst darüber sogar die laufende Kamera vergaß.
Nachdem jedoch die zunächst gar nicht so unangenehme Wärme zwischen ihren Schenkeln einem Gefühl klebriger, zunehmend kühlerer Nässe Platz machte, ergriff sie eine neue Welle von Angst und Scham.
Diese Angst war wie ein ätzendes Säurebad. Doch statt Milena von außen nach innen zu zersetzen, schien es, als sickerte jene Säure zunächst durch ihre Haut bis auf Muskeln, Sehnen und Knochen herab, bevor sie sich dann von Milenas innerstem Kern her, umso gieriger und unaufhaltsam wieder nach außen fraß.
Alles, was dieser umgekehrte Zersetzungsprozess zurückließ, war eine leere Hülle aus aufgeweichter, schleimig dünner Haut, die schemenhaft nur noch eine im Grunde leere Form umriss.
Schon allein der Gedanke an die Zerbrechlichkeit jener Hülle musste genügen, um diese in sich zusammenfallen zu lassen.
5.
Das leise Surren der Kamera schnitt in Milenas Bewusstsein.
Sekunde um Sekunde ihrer demütigenden Gefangenschaft wurde in der metallisch glänzenden Box aus Plastik, Glas und Halbleitern festgehalten.
Wenn Milena wenigstens genauer gewusst hätte, was man sich von diesen Aufzeichnungen erhoffte.
Sollten die Bilder von Milenas Demütigung mit irgendwelchen platten Propaganda-Kommentaren unterlegt etwa im Internet verteilt werden?
Zehntausende, vielleicht Hunderttausende oder gar Millionen von Fremden überall auf der Welt, die so Zeuge ihrer Entwürdigung würden.
Schnitt man diese Videos irgendwie zurecht? Würde in dem Video dann auf ihre Demütigung ihre Hinrichtung folgen?
Oh Gott.
Alles, was danach von Milena Fanu im Gedächtnis der Menschen zurückblieb, wären ein paar Aufnahmen ihrer feuchten Oberschenkel und ihres vor Schmerz und Scham verzogenen Gesichts. Ihr Name und Bild würden zusammen mit den Aufzeichnungen ihrer Gefangenschaft in irgendwelchen Internetportalen oder TV-Nachrichtensendungen für ein paar Stunden hochgejubelt, um danach wieder vergessen zu werden. Jedenfalls solange, bis die nächste terroristische Zelle mit einer ähnlichen Aktion die Schlagzeilen eroberte, und man in den Nachrichtenredaktionen zur moralischen Verdammung jenes aktuellen Falls, auch Milenas Bilder und Namen wieder aus dem Archiv hervorkramte.
Vielleicht hätte das alles Milena im Grunde egal sein sollen. Immerhin war ja nicht zu erwarten, dass sie die Videos ihrer Gefangenschaft je selbst zu Gesicht bekommen würde, da sie längst tot war, wenn man sie veröffentlichte.
Es war Milena jedoch nicht gleich, wie man sie im Gedächtnis behielt. Sie erschauerte bei der Vorstellung, dass das Letzte, was ihre Freunde und Kollegen von Milena Fanu im Gedächtnis behielten, ihre Demütigung und ein völlig sinnloser, im Grunde ja sogar nur zufälliger Tod sein mussten.
Nur gab es nichts, das sie von hier aus diesem Stuhl heraus hätte tun können, um ihr Schicksal noch abzuwenden.
Ein leises Klicken ertönte.
Das nervtötende Surren der Kamera erstarb und auch das kleine rote Lämpchen an ihr verlosch, ohne dass Nummer EINS oder Nummer ZWEI den Raum betreten hätten.
Erstaunt starrte Milena noch auf die Kamera, als das Licht in ihrer Zelle plötzlich verlosch.
Was sie jetzt umgab, war nicht einfach nur Dunkelheit, sondern die absolute Abwesenheit jeglichen Lichts.
Menschen, die - wie Milena - ihr ganzes Leben an Orten zugebracht hatten, an denen stets ein simpler Knopfdruck genügte, um ihre Umgebung in Licht zu tauchen, kannten diese Art der völligen Abwesenheit von Licht höchstens aus Geschichtsbüchern oder Kriegsberichten. Kein Wunder, dass sie erneut von Panikanfällen überrannt wurde, sowie sie sich dieser absoluten Abwesenheit von Licht
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