Femme Fatales
einzuschüchtern, hatte sich Noldes Hang zum Schutz seiner Privatsphäre fast schon zu einer Besessenheit gesteigert.
12.
Nolde war daher nicht begeistert gewesen, als ihn an jenem Samstagmorgen diese attraktive aber seltsam eingeschüchterte junge Frau in der Halle seines Hauses abpasste und halsstarrig darauf bestand, ihn unbedingt sprechen zu müssen. Ihr Name war angeblich Milena Fanu und zuletzt behauptete sie sogar, dass es sowieso zu spät sei, sie wieder wegzuschicken. Sie stünde nämlich unter Beobachtung und ihre Beobachter hätten sicherlich längst realisiert, mit wem sie hier sprach.
„ Diese Leute sind zu allem fähig, Monsieur. Vermutlich töten sie mich ja sogar, nur weil ich hier mit Ihnen gesprochen habe. Dann träfe Sie eine moralische Mitschuld an meinem Tod, weil Sie nichts unternommen haben, um mich zu schützen.“
Nold e fand die Idee, dass man diese halsstarrige Mademoiselle Milena Fanu ermordete, falls er sie nicht hereinbat, zwar heftig übertrieben, andererseits imponierte ihm die Chuzpe der jungen Frau. Ihm einfach so mit einer moralischen Mitschuld an ihrem möglichen Tod zu drohen, war schon ein starkes Stück.
Außerdem musste er sich eingestehen, dass sie unter ihrer mühsam aufrechterhaltenen Maske aus kühler Geschäftsmäßigkeit, wohl tatsächlich ziemlich verängstigt war. Nolde hatte im Laufe der Jahre mit genügend Gewaltopfern zu tun gehabt, um das sicher beurteilen zu können.
Trotzdem fand er, dass für Fälle von Mord und Totschlag eher die Polizei zuständig sei, als ein privates Sicherheitsunternehmen wie Nolde Securities.
Er erkundigte sich also, weshalb Milena auf die Idee kam, dass ausgerechnet er ihr bei ihrem Problem helfen könnte.
Weil er ihr von Monsieur Gustave Pascin empfohlen worden sei, hatte Milena geantwortet.
Pascin war Chefjustiziar einer der wichtigsten Versicherungsgesellschaften Frankreichs.
Nolde konnte es sich nicht leisten , ihn vor den Kopf zu stoßen. Dazu verdankte seine Firma Pascin zu viele Aufträge.
Letztlich war es wohl Pascins Name gewesen, der Milena schließlich Zutritt in sein Penthouse verschaffte. Doch sobald sie ihre Geschichte beendet hatte, war etwas Neues hinzugekommen. Ein Gefühl von unbestimmter Trauer, die sich als leises Ziehen in seinem Bauch bemerkbar machte und ihn für einige Augenblicke verunsicherte. Selbstverständlich hatte er Milena zunächst kein Wort geglaubt. Doch er hatte sich zugleich auch unwillkürlich gefragt, was zur Hölle sie sich davon versprach ihm ein solch ausgefeiltes Lügengebäude vorzusetzen.
All die Dinge, die er in seinem Leben schon gesehen hatte. All die Gier, Dummheit, Ignoranz und schiere Bosheit, der er hier in seiner Firma und früher als Polizeikommissar begegnet war, kein Wunder, dass er Gespenster sah, dachte er.
13.
Milena Fanu saß auf Noldes Wohnzimmercouch und hatte vor einem Augenblick berichtet, wie sie den Spiegel ihrer Wohnung mit rotem Reparaturlack besprühte. „Seitdem habe ich Angst. Wirkliche Angst“, flüsterte sie. „So umfassend und tief sitzend, dass ich an nichts anderes mehr denken kann. Ich habe Schweißausbrüche und Schüttelfrost vor Angst. Ich schrecke bei jedem Geräusch irgendwo im Haus oder unten auf der Straße auf. Ich dachte: Irgendwann könnte ich lernen mich mit dieser Angst zu arrangieren. Aber das ist ein Irrtum. Ich kann es nicht. Jedenfalls solange nicht, wie ich nicht absolut sicher weiß, ob diese Leute mich tatsächlich beobachten oder nicht“, beendete Milena ihre Geschichte.
Nolde hatte sie keinen Moment aus den Augen gelassen, während sie sprach. Womöglich wollte ein Teil von ihm der jungen Frau sogar glauben. Doch Vertrauen war eine gefährliche Angelegenheit für einen Mann, der weder an Zufälle glaubte, noch daran, dass einem das Leben je irgendeine Art von Garantie ausstellte.
Milena sah ihm wohl an, dass er an ihrer Geschichte zweifelte. Sie öffnete ihre Handtasche und legte einen dünnen braunen Umschlag auf Noldes Tisch.
„Ich dachte mir schon, dass Sie mir nicht glauben würden. Deswegen habe ich das da mitgebracht. Es beweist, dass ich nicht gelogen habe“, sagte Milena in demselben kühl distanzierten Tonfall, in dem sie Nolde zuvor ihre Geschichte geschildert hatte.
Der Umschlag enthielt die Auswertung einer Blutanalyse, verschiedene Fotos und einen knappen medizinischen Bericht über eine allgemeinärztliche Untersuchung Milenas.
Nolde konnte mit dem Latein-Kauderwelsch des Berichtes und den
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