Femme Fatales
anderen Abteilungen zu klären waren. Milena konnte das in ihrer Situation nur recht sein.
Milena gab auch keine Spenden mehr. Sie hatte sämtliche Überweisungen an wohltätige Organisationen gestoppt. Die machten die Welt nicht besser. Im Gegenteil – sie trugen nur dazu bei, deren wahre brutal-unbarmherzige Natur zu verschleiern, indem sie suggerierten, dass die Spenden, die man ihnen zukommen ließ, tatsächlich irgendwem zu helfen vermochten. Selbst wenn es funktionierte, wenn dieses Geld irgendeinem armen von Elend, Gefangenschaft oder Hunger gebeutelten Mitmenschen aus Angst oder Not heraushalfen - was bedeutete das schon? Ein Fünkchen Licht in einem unendlich großen Universum aus Finsternis. Ein Fünkchen Licht, das schneller wieder verlosch, als es aufgeschienen war.
Jeden Tag zwei Mal – einmal gegen neun Uhr morgens auf dem Weg ins Büro und später während ihrer Mittagspause – rief sie Nolde an, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. Stets antwortete er ebenso höflich wie bestimmt, dass keine Neuigkeiten zu verzeichnen seien.
Milena nahm Noldes Auskunft widerspruchslos hin. Nur ein Mal hatte ihr Gespräch länger als gewöhnlich gedauert. Das war, als Milena sich bei Nolde erkundigte, ob der tatsächlich immer noch ein Observations- und Sicherheitsteam auf sie angesetzt hatte. Denn sie selbst hatte von der Anwesenheit dieser Leute nichts bemerkt, obwohl sie sich durchaus bemühte Noldes Team zu identifizieren.
Noldes Antwort darauf war typisch für ihn. „Dass Sie unsere Mitarbeiter nicht identifizieren konnten, Mademoiselle Fanu, ist die Bestätigung dafür, dass sie ihre Sache gut machen.“
18 .
Milena funktionierte.
Das hieß: Sie war fähig einen Schritt vor den anderen zu setzen, ab und zu die Kollegen, die ihr auf dem Weg zur Cafeteria begegneten, mit einem dünnen Lächeln oder grazilen Kopfnicken zu begrüßen, und sie war in der Lage dazu wenigstens einen Teil ihrer Gedanken auf ihre jeweilige Arbeitsaufgabe zu konzentrieren.
Was funktionieren jedoch nicht hieß - war ihre alltägliche Büroumgebung derart klar und bewusst wahrzunehmen, wie vor ihren traumatischen Erlebnissen.
Das Bürohaus der Konzernzentrale war hypermodern und hell und seine Wände hingen voller fröhlich-bunter Gemälde. Alles in allem hätte das weitläufige Gebäude mit den breiten Fluren und freundlichen Büroräumen auch ganz gut zu einer Kunstgalerie oder einem Museum gepasst. Ein Eindruck, der durchaus gewollt war. Man achtete im Vorstand sehr darauf, dass die Mitarbeiter in ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld alles hatten, was sie sich an Komfort nur wünschen konnten.
Milena hätte den Mann, der ihr in einigen Schritten Abstand jetzt auf dem Flur entgegenschlenderte, beinah genauso mit einem knappen Kopfnicken gegrüßt, wie alle anderen Kollegen, deren Gesichter oder Haltung ihr entfernt bekannt vorkamen.
Erst als er mit einem höflichen Lächeln direkt auf sie zutrat und ihr seine Hand entgegenstreckte, realisierte sie, dass er keiner ihrer Kollegen oder Bekannten war.
„Mademoiselle Fanu. Was für eine nette Überraschung!“, sagte er und trat noch einen Schritt näher.
Milena wich unwillkürlich vor ihm zurück. Doch der Fremde hatte damit gerechnet und ihr sanft und wie in einer Geste unter Freunden die Hand um den Oberarm gelegt.
„Ich gehöre zu Noldes Team. Begleiten Sie mich. Der Chef wartet auf Sie“, flüsterte er und zog Milena unauffällig in Richtung der Fahrstühle.
Milena war sicher, dass keiner ihrer Kollegen irgendetwas Ungewöhnliches darin gesehen hätte, wie sie beide jetzt miteinander zu den Aufzügen schlenderten. Sie zweifelte allerdings auch nicht daran, dass der Mann tatsächlich war, was er zu sein vorgab, denn sie hatte sein Gesicht wieder erkannt. Er hatte sie seinerzeit aus Noldes Penthouse abgeholt und nach Hause in ihr Appartement begleitet.
Seltsam, dachte sie aufgeregt und überrascht, dass sie dies so rasch hatte vergessen können.
Der Fremde sah ihr ihre Unsicherheit und Beklemmung zweifellos an, während sie nebeneinander auf den Fahrstuhl warteten.
„Der Anzug und die Haare. Die wahre Kunst der Tarnung liegt darin nie zu übertreiben“, flüsterte er mit einem feinen Lächeln auf seinen Lippen.
Und wirklich erinnerte sich Milena, dass der Mann damals Lederjacke, Hoodie und Bluejeans getragen hatte, und seine jetzt glatten, leicht gegelten Haare zerwühlt gewesen waren.
„Weshalb kommt Monsieur Nolde denn selbst, um mich zu sprechen?“,
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