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Femme Fatales

Femme Fatales

Titel: Femme Fatales Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gray
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Geschäften ihrer täglichen Arbeit nachgingen.
    Vielleicht wäre Nolde ja auf eine seltsame Art erleichtert gewesen, hätte die Chiffrenfolge auf dem kleinen Zettel aus dem anonymen Umschlag das elektronische Schloss an der Haustür nicht zu öffnen vermocht.
    Aber sobald er dann durch die Tür in den Hausflur trat und die dort angebrachten Briefkästen überprüfte, verlor sich der Rest seiner Beklemmung.
    Der abgewetzte Schlüssel passte zu einer Tür im zweiten Stock.
    Nolde blieb lange in dieser Wohnung, in der ihn niemand erwartet hatte und in der es offenbar auch nichts gab, von dem man annehmen durfte, dass es einen Mann wie Nolde länger dort festhalten sollte. Aber genau das war der Punkt: Dass diese Wohnung so absolut nichts zu bieten hatte.
    Wüsste Nolde es nicht besser, so hätte er annehmen müssen, dass die Wohnung seit Jahren unbewohnt war. Gerade einmal, dass in regelmäßigen Abständen irgendein Hausmeister die drei Zimmer lüftete oder hier und da Staub wischte.
    Mit Ausnahme der Einbauküche, zweier Kleiderstangen und einer einfachen, mit blauen Laken bezogenen Matratze, enthielt die Wohnung keine weitere Einrichtung. Wenn sich denn überhaupt etwas Bemerkenswertes darin fand, dann diese acht oder neun Kästen stilles Mineralwasser, die überall in den Zimmern verteilt herumstanden.
    Nolde lehnte sich neben der Wohnzimmertür an die weiß tapezierte Wand und ließ lange seinen Blick über den Raum streifen, fast so als gelänge es ihm nur dadurch dessen furchtbare Leere wirklich zu begreifen.
    Irgendwann trat er ins Schlafzimmer, betrachtete eine Weile die Matratze und die beiden Kleiderstangen darin. Dann stellte er sich an eines der beiden Fenster, die in einen Hinterhof hinausgingen, auf dem ein paar blühende Büsche und ein Stück grüner Rasen nicht ganz gegen die graue Tristesse der dortigen Parkplätze ankamen.
    Das Wasser in den Kästen war frisch, das hatte Nolde gesehen. Anhand der Verbrauchsdaten auf den Flaschendeckeln konnte keiner davon länger als zehn Tage alt sein. Auch Matratze, Laken und Bettzeug wirkten frisch. Sie rochen nach Waschmittel.
    Nolde öffnete das Fenster und steckte sich eine Zigarette an, die er dann betont bedächtig rauchte.
    Noch etwas war Nolde bereits während seiner ersten Überprüfung der Wohnung ins Auge gefallen – es gab keine Spiegel hier.
    Er fand nicht eine einzige glänzende Oberfläche, die zufällig hätte irgendetwas widerspiegeln können. Sogar die Töpfe, Teller und Tassen im Küchenschrank waren aus mattem Material gefertigt. Und vor jedem der Fenster hing eine billige Streifenjalousie.
    O bwohl draußen warmer Spätfrühling herrschte, wurde es Nolde, während er dort am Fenster bedächtig seine Zigarette rauchte, plötzlich unangenehm kalt. Es war eine seltsame Kälte, die ihn da erfasste. Es schien als dringe sie von innen her aus dem Mark seiner Knochen über Blutgefäße und Fleisch bis auf seine Haut.
    Trotzdem blieb er weiter regungslos dort beim Fenster stehen und steckte sich nach der ersten eine zweite Zigarette an, die er genauso bedächtig rauchte wie ihre Vorgängerin. Dies war die wortwörtliche Übersetzung des Namens Nemesis, der furchtbarsten der alten Göttinnen Nemesis: „Zuteilerin des Gebührenden“.
    Und, fand Nolde, es gebührte ihm hier zu stehen und zu spüren wie ihm diese beklemmende Kälte aus seinem Innersten heraus auf die Haut kroch, um ihren eisigen Schauer über sie zu legen. Er fürchtete, er würde jene Kälte nie wieder vollständig loswerden. Und selbst dies – selbst DIES – wäre vielleicht eine angemessene Strafe für seinen Verrat an Milena Fanu, die ihm Chiffrenfolge und Schlüssel ihres eigentlichen Appartements zugespielt hatte, um ihm klar zu machen, dass trotz ihres Zusammentreffens vor einigen Monaten nichts vergessen oder gar vergeben war.
    In dem von Kunstschätzen und Antiquitäten voll gestopftem Appartement am Seinebogen mochte Milena von Zeit zu Zeit die ihr zugedachte Rolle als erfolgreiche Managerin gespielt haben. Aber wirklich zu Hause war sie nur hier gewesen. Hier, in den so schrecklich unpersönlich leeren und spiegellosen Räumen, in denen einzig ein schwacher Duft von Waschmitteln und Frauenschweiß und ein paar Kästen Mineralwasser von der Anwesenheit ihrer Bewohnerin zeugten.
    „Die Räume, in denen wir leben, welche ein Abbild unseres Lebens und unserer Seelen darstellen …“, erinnerte sich Nolde erschrocken und verbittert an eine Zeile aus irgendeinem der wenigen

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