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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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umstehenden Anhängern zuwinkt und in einem Gebäude verschwindet, vielleicht, um dort eine Rede zu halten.
    »Sawchuck?«, flüstert Allison. »Der Kerl ist ein Politiker?«
    Sie legt beide Hände auf den Kopf und fährt sich mit den Fingern durch das schulterlange schwarze Haar. Sie atmet tief aus.
    »Unfassbar«, sagt sie zu sich selbst.
    Allison ist froh, dass sie ihre Mutter noch nicht angerufen hat. Denn möglicherweise gibt es für ihren stockenden Geldfluss eine andere Lösung.

Sieben
    D u hast heute einen Termin bei Dr. Grigorin«, sagte ich, als Thomas sich gerade Milch über seine Frühstücksflocken goss. »Dad hat ihn schon vor ein paar Wochen ausgemacht.«
    »Ich brauch den aber gar nicht, Ray«, antwortete er, ohne mich anzusehen.
    »Trotzdem wäre es mir lieb, wenn du hingehst. Ich weiß, Dad war der Meinung, dass es dir guttut, regelmäßig zu ihr zu gehen.«
    »Ich will aber nicht«, sagte er. »Ich muss arbeiten.«
    »Das kannst du machen, wenn wir wieder zu Hause sind. Ich weiß, du kannst aus dem Haus gehen, wenn es sein muss. Du tust es nur nicht gern.«
    »Wenn ich einen Grund hätte, würde ich ja hingehen. Aber es gibt keinen.«
    Ich führte meinen Kaffeebecher an den Mund und trank. Dad hatte immer nur Instantkaffee daheim gehabt. Der war zwar ziemlich eklig, aber wenigsten nicht koffeinfrei. Ich tat mir einen zweiten Löffel Zucker hinein. »Es gibt sehr wohl einen Grund, Thomas. Du und ich haben gerade ein ziemlich traumatisierendes Erlebnis hinter uns. Wir haben unseren Vater verloren. Schon für mich ist das schwer zu verkraften, aber ich vermute, dass es für dich noch viel schlimmer ist. Ich meine, ihr beide habt unter einem Dach gelebt.«
    »Er war oft sauer auf mich«, sagte Thomas.
    »Wann zum Beispiel?«
    »Er hat mir dauernd gesagt, ich soll irgendwelche Sachen machen, die ich gar nicht machen wollte.« Er sah mich an. »So wie du gerade eben.«
    »Aber gemein war er nie zu dir« sagte ich. »Ärgerlich manchmal, aber nicht gemein.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht. Aber er konnte es nicht leiden, wenn ich den ganzen Tag in meinem Zimmer blieb. Er wollte, dass ich aus dem Haus gehe. Er hat nicht verstanden, wie viel ich zu tun habe.«
    »Es ist einfach nicht gesund, Thomas. Du brauchst frische Luft. Wenn du ganz ehrlich bist, dann siehst du doch selbst ein, dass da etwas nicht stimmen kann, wenn du dich so in deine Arbeit vergräbst, dass du nicht mal zur Beerdigung deines Vaters gehst.«
    »An dem Tag musste ich nach Melbourne«, verteidigte sich Thomas.
    »Herrgott, Thomas, du musstest an diesem Tag nicht nach Melbourne. Du musstest weder nach Melbourne noch nach Moskau oder Montreal, verdammt noch mal. Das Einzige, wo du hin musstest, war das Begräbnis deines Vaters.« Ja, es war unfair von mir, Thomas deswegen Vorwürfe zu machen. Ich wusste doch, dass er höchstwahrscheinlich nichts dafür konnte. Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, bereute ich sie auch schon. Thomas böse zu werden, weil er sich von seinen Zwangsvorstellungen nicht befreien konnte, war wie einem Blinden böse zu sein, weil er nicht gesehen hat, wo er hingetreten ist.
    »Es tut mir leid.«
    Thomas sagte nichts. Fast eine Minute lang schwiegen wir beide.
    Dann brach ich das Schweigen. »Ich finde, gerade jetzt, wo ich mich bemühe, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, ist es wichtig, dass du mit Dr. Grigorin redest. Ich möchte auch gern mit ihr sprechen.«
    Thomas beäugte mich neugierig. »Hast du denn auch Probleme?«
    »Was?«
    »Also weißt du, ich glaube, das ist gar keine schlechte Idee. Du solltest mit ihr reden. Sie kann dir vielleicht helfen.«
    Ich kniff die Augen zusammen. »Mir helfen? Wieso brauche ich denn Hilfe?«
    »Weil du dauernd über andere Menschen bestimmen willst. Vielleicht kann sie dir ja was dagegen verschreiben. Ich bekomm was, das mir gegen die Stimmen hilft. Vielleicht könnte sie ja auch dir was verschreiben.«
    »Gute Idee«, sagte ich.
    »Du könntest allein hingehen«, schlug er vor. »Und wenn du zurückkommst, erzählst du mir, was sie gesagt hat.«
    »Wir gehen zusammen.«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und fing an, seine Faust zu ballen und wieder zu öffnen. Der Mund trocknete ihm aus. Angst keimte auf.
    »Der Termin ist um elf«, sagte ich.
    »Elf, elf, elf«, wiederholte er und verdrehte dabei die Augen nach oben, als versuche er sich zu erinnern, was er in seinen Terminkalender geschrieben hatte.
    »Ich bin ziemlich sicher, dass du Zeit hast.

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