Fenster zum Tod
merkwürdig an, hier zu sitzen und zu wissen, dass der Letzte, der hier gesessen hatte, mein Vater gewesen war. Der Schlüssel steckte noch im Zündschloss und war auf AUS gestellt. Ich wollte das Mähwerk anheben, das nur heruntergeklappt wurde, wenn man tatsächlich Gras schneiden wollte, doch es war bereits oben.
Ich zog den Choke ganz heraus, schob den Gashebel ganz nach vorne und drehte den Schlüssel.
Der Motor hustete ein paarmal, und aus dem Auspuff kam schwarzer Rauch. Röhrend erwachte das verdammte Ding zum Leben. Ich drückte den Choke wieder hinein, zog den Gashebel ein wenig zurück, betätigte die Kupplung und legte den niedrigsten Gang ein, um die Böschung hinauffahren zu können.
Ich legte die Strecke mit angehaltenem Atem zurück.
Oben angekommen, fuhr ich den Traktor in die Garage, schob das Tor hinter mir zu und ging ins Haus zurück.
Um zehn Uhr stand Thomas fix und fertig im Wohnzimmer. Er trug ein blaukariertes Hemd, olivfarbene Hosen, schwarze Schuhe und eine Windjacke, grell wie ein Leitkegel.
»Wo hast du denn diese Jacke her?«, fragte ich ihn. »Machst du neuerdings den Schülerlotsen?«
»Nein«, sagte er todernst. »Du weißt, dass ich so einen Job nicht annehmen würde. Ich hab nicht gern kleine Kinder um mich.«
»War nur ein schlechter Witz. Wo hast du sie wirklich her?«
»Einmal durfte ich in den Walmart, um mir ein paar Straßenatlanten zu kaufen, da hab ich sie im Ausverkauf gesehen. Dad hat sie mir gekauft.«
»Eine leuchtende Farbe«, sagte ich.
»Können wir fahren?«
»Wir sind ein bisschen früh dran.«
»Ich glaube, wir sollten fahren.«
»Na gut.« Ich nahm mein nicht ganz so fluoreszierendes Sakko und schlüpfte hinein.
Wir traten auf die Veranda, und ich schloss die Haustür hinter mir ab. Ich hatte erwartet, dass Thomas einen Augenblick stehen bleiben würde, um sich umzusehen und alles auf sich wirken zu lassen. Es wehte zwar eine kühle Brise, aber die Sonne schien. Ein herrlicher Tag. Doch Thomas marschierte schnurstracks zu meinem Audi und rüttelte an der Beifahrertür.
»Er ist abgesperrt«, sagte er.
»Einen Moment.« Ich nestelte die Fernbedienung aus meiner Hosentasche, zielte und drückte. Thomas stieg ein, schnallte sich an und sah mir ungeduldig zu, wie ich zur Fahrerseite ging, einstieg, meinen eigenen Gurt anlegte und die Zündung einschaltete. Auf der Instrumententafel, mit deren Hilfe der Fahrer unzählige Funktionen des Fahrzeugs, inklusive des Navis, überwachen kann, gingen die Leuchten an.
»Also, es funktioniert –«
»Das finde ich schon selbst heraus«, sagte Thomas. Er drehte an verschiedenen Knöpfen und berührte das Display. »Wenn ich jetzt eine Adresse eingeben will –«
»Siehst du das Ding hier? Du gibst einfach –«
»Schon verstanden. Als Erstes gibt man den Ort ein, stimmt’s?« Ich sah zu, wie er »McLean« eintippte.
»Was machst du denn da?« Dr. Grigorins Praxis war in Promise Falls.
»Ich will sehen, welche Route er nach McLean, Virginia, vorschlägt«, antwortete er.
»Warum in aller Welt sollten wir nach Virginia fahren? Das ist Hunderte von Kilometern weit weg. Zur Praxis sind es gerade mal zehn Minuten. Für Virginia würden wir den ganzen Tag brauchen.«
»Ich will ja nicht wirklich da hin. Ich hab da ja keinen Termin oder so. Ich will nur sehen, ob er uns die beste Route sagt.« Er betrachtete den Bildschirm noch einen Moment, verlor anscheinend die Geduld und sagte: »Also bitte, dann geb ich halt die Adresse der Praxis ein. Das ist Pennington Road 2654, Suite 304.«
»Die Nummer der Suite brauchst du nicht einzugeben. Wir schicken ihr ja nichts. Wir fahren dahin.«
Thomas blickte kurz zu mir auf. »Glaubst du, ich bin doof?«
Wäre sie von jemand anderem gekommen, hätte man diese Frage für sarkastisch, vielleicht sogar provokativ halten können. Bei Thomas jedoch klang sie, als sei sie ernst gemeint.
»Nein«, sagte ich. »Das glaube ich nicht. Es tut mir leid, wenn es für dich so geklungen hat.«
»Du denkst, ich zieh mich doof an. Das hab ich gemerkt. Du hast dich über meine Jacke lustig gemacht. Und jetzt hältst du mich für zu doof, um ein Navigationssystem zu bedienen.«
»Nein – ich meine, gut, deine Jacke ist schon ein bisschen grell. Aber ich halte dich nicht für doof. Ich glaube sogar, du erfasst ganz intuitiv, wie solche Dinger funktionieren. Also los. Tipp die Adresse von Dr. Grigorin ein.«
Er gab sie ein und wartete ein paar Sekunden, bis das Navi die Route
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