Fenster zum Zoo
für ihn gegangen.
Er war meist hinter ihr gewesen. Aber sie konnte nicht langsam gehen. Wenn sie langsam ging, hatte sie das Gefühl zu fallen. Jetzt wird er nicht noch einmal mit ihr gehen wollen. Auch wenn er es gesagt hatte. Das heißt nichts. Er muss nicht tun, was er sagt. Er wird diese Schiffstour niemals mit ihr machen. Er hatte es nur aus Höflichkeit gesagt. Er war höflich.
Und sie hatte zu wenig geredet.
Sie hatte auf der Caféterrasse krampfhaft nach einem Thema gesucht. Sie wusste nicht, ob er über den Zoo reden wollte. Und worüber hätte sie sonst reden sollen? Auch wenn der Kuchen vor ihr gestanden hätte, hätte sie ihn nicht essen können. Der Kloß in ihrem Hals war viel zu groß gewesen. Dabei liebte sie Süßes.
Und dann die Brücke.
Sie wollte die Brücke schnell hinter sich bringen. Nach der Fahrt mit der Seilbahn hatte sie Angst, es würde dort ebenso sein. Aber es war noch schlimmer. Die tosenden Züge. Der zitternde Boden unter ihr. Ein Sturm war durch ihren Kopf gefegt und hatte alle Türen zugeschlagen.
Als sie wieder auf der Straße war, war alle Angst verschwunden. Sie hatte sich leicht gefühlt.
Sie fühlte sich immer noch so.
Während sie an ihren Ausflug dachte, kraulte sie sein Fell. Sie strich die Knoten glatt, holte kleine Halme heraus, die er vom Schlaf im Stroh zurückbehalten hatte. Er schloss die Augen, stemmte sich fest gegen die streichelnde Hand, mit seinem ganzen Gewicht, sodass er fast umfiel, und brummte sanft. Es ging ihm gut.
Wie ihr.
Darum hatte sie die Einladung zum Essen angenommen. Sie wollte ihre Angst besiegen. Nach dem Ausflug war sie mutig geworden.
Vor seinem Haus sah sie hoch.
Im Erdgeschoss stand eine Frau auf dem Balkon. Im zweiten Stock bewegte sich eine Gardine. Aus der Haustür kam ein Paar. Der Mann hielt ihr freundlich die Tür auf. Aber sie konnte nicht hineingehen.
Das Haus, in dem er wohnte, war wie das Haus in Duisburg. Auf einmal fürchtete sie die Nähe. In einer Wohnung. In einem Zimmer. An einem Tisch.
Mit ihm.
Was wollte er von ihr?
Erinnerungen überfielen sie, und sie musste auf dem Absatz kehrtmachen.
Als ein Mann vor Jahren in ihr Leben getreten war, hatte sie sich zuerst gewehrt. Es war gefährlich, mit einem Mann zusammen zu sein. Männer hatten eine Neigung zu Gewalt, töteten Bären, hackten ihnen die Tatzen ab, hielten sie in Käfigen, quälten sie.
Aber dieser Mann schien anders gewesen zu sein. Er war sanft und geduldig. Und sie hatte ihm vertraut. Bald hatte sie es als angenehm empfunden, nicht mehr so viel allein zu sein. Seine Berührungen hatten ihr gut getan, sie hatte es geschehen lassen, obwohl es ihr selbst nicht gelungen war, ihn zu berühren.
Doch als er ihrer Liebe sicher gewesen war, hatte er sich verändert und ein anderes Gesicht gezeigt. Er hatte sie in eine Falle gelockt und begonnen über ihr Leben zu bestimmen; erst in den kleinen Dingen des Alltags, was sie essen sollte, was sie anziehen sollte. Er hatte gewollt, dass sie sich änderte und wurde wie die anderen Frauen, die er ihr zum Vorbild machte. Er hatte sie überwacht, war ihr überall hin gefolgt. Die wenigen Worte, die sie mit Kollegen im Zoo wechselte, hatte er ihr verboten. Alle Gänge außer Haus hatte er ihr abgenommen. Er hatte sie isoliert, mehr als sie selbst es vermocht hätte. Sie hatte nicht mehr gewusst, wie sie sich befreien sollte.
Eines Tages aber hatte er eine unerfüllbare Forderung gestellt. Wie hatte er von ihr verlangen können, den Zoo aufzugeben?
Kaspar war eine Art Schutzheiliger für sie geworden, ohne den sie nicht existieren mochte, nicht ohne Angst vor dem Leben zu haben.
Kein Tag war vergangen, ohne dass sie über eine Lösung nachgedacht hätte. Und dann war die Idee eines Tages da gewesen, wie von selbst, hatte sich fest gefressen und nicht mehr losgelassen. Die Idee, beides haben zu können, war zu einem Plan geworden.
9. Kapitel
Als Muschalik am nächsten Morgen erwachte, schlug ihm ein süß-saurer Geruch entgegen, und er wusste erst nicht, wo er war. Vorsichtig prüfte er, wie es ihm ging. Sein Magen rebellierte noch, als er die Hand darauf legte, ein grausamer Kopfschmerz hämmerte gegen seine Schläfen, und der Geschmack in seinem Mund war widerlich. In der Küche stellte er fest, dass er das Geschirr nicht abgewaschen hatte und im Topf noch das angetrocknete Gulasch klebte. Er lüftete, stellte seinen Teller in die Spüle und ließ Wasser hineinlaufen. Das übriggebliebene Gulasch kippte er in die
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