Fenster zum Zoo
Toilette. Dann kochte er einen Pfefferminztee, vergaß ihn in der Küche und legte sich wieder hin. Er war noch nicht imstande, eine feste Mahlzeit zu sich zu nehmen, und konnte erst nachmittags in den Zoo gehen, als er sich ein wenig besser fühlte.
Er ging nicht sofort zur Bärenanlage, sondern erst zum Marabu, setzte sich auf eine Bank und sprach mit ihm über den gestrigen Abend. Der Marabu klimperte verständnisvoll mit den Lidern.
»Der Marabu gehört zur Familie der Störche und damit zur Ordnung der großen Schreitvögel, den Ciconiiformes«, rief Jartmann schon von weitem. Er zog einen Anhänger mit leeren Futtereimern und Schlauchwagen hinter sich her und parkte ihn hinter der Bank. Muschalik konnte ihm nicht mehr entkommen.
»Ciconiidae ist das lateinische Wort für Störche, der Afrikanische Marabu ist der Leptopilos cruimeniferos. Aber es gibt auch den Indischen und Sunda-Marabu, jedoch nicht hier im Kölner Zoo.«
»Ich weiß«, unterbrach Muschalik ihn endlich.
»Wenn das so ist, habe ich Sie wohl unterschätzt.«
»Das ist sehr gut möglich.«
»Einen schönen Tag wünsche ich noch«, sagte Jartmann, griff wieder nach der Deichsel des Anhängers und wollte sich auf den Weg machen.
»Was ist denn mit Duisburg?«, rief Muschalik hinter ihm her und stand auf.
Jartmann drehte sich überrascht um.
»Ich habe einen Teil Ihres Gesprächs gestern mitbekommen. Unfreiwillig. Haben Sie aus Duisburg schlechte Nachrichten erhalten?«
»Allerdings.«
»Was soll aus Duisburg schon Gutes kommen?«
Jartmann zögerte, aber dann kam er ein paar Schritte auf Muschalik zu und sagte: »Sie wissen doch sonst alles.«
»Ja, was den Kölner Zoo angeht, bin ich ziemlich fit. Aber in Duisburg war ich noch nie. Meinen Sie etwa den Duisburger Zoo?«
Jartmann nickte und stellte den Anhänger wieder ab.
»Ich weiß nur, was alle wissen, dass Nelly Luxem aus Duisburg kommt. Es stand in der Zeitung.«
Jartmann lachte gackernd und sagte: »Sie scheint eine bewegte Vergangenheit zu haben.«
»Hat die nicht jeder? Ich habe auch schon einiges erlebt. Das bleibt nicht aus, wenn man älter wird. Sie werden noch sehen …«
»Aber nicht jeder hat eine zweifelhafte Vergangenheit.«
»Ich bin von Berufswegen neugierig«, bedrängte Muschalik ihn, »ich hasse Andeutungen.«
»Es würde mich nicht wundern, wenn der Unfall an der Bärenanlage gar kein Unfall war.« Jartmann tat geheimnisvoll.
»Was denn sonst?«
»Mord natürlich. Wer von uns beiden war denn Polizist?«, fragte Jartmann spöttisch.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Gehen Sie der Sache mal nach.« Jartmann hob die Deichsel wieder an, machte sich auf den Weg und rief ihm über die Schulter zu: »Ein Tipp von mir.«
Muschalik holte tief Luft. Jartmann war wie ein Unwetter. Man musste stillhalten, ihn über sich ergehen lassen und sich dann schütteln wie nach einem Regenguss. Aber heute hatte er eine Lawine in Muschaliks Kopf ins Rollen gebracht.
»Entschuldigung«, Nelly stand plötzlich neben ihm, »ich habe es gestern Abend nicht mehr geschafft. Ich hatte noch so viel zu tun.« Nervös sah sie sich um.
»Das macht doch nichts«, sagte Muschalik, und seine Augen folgten ihren Blicken »Jartmann war schon hier. Er wird nicht noch einmal kommen. Er hat mir einen Vortrag über Marabus gehalten.«
»Welche Marabus?«, fragte sie zerstreut.
Muschalik zeigte auf die kleine Gruppe, die zwischen den Weißnacken-Moorantilopen hin und her stakste.
»Ach ja, die Marabus«, sie seufzte, »sonst hat er nichts gesagt?«
Muschalik zögerte kurz, sagte dann aber doch: »Nein, sonst nichts. Hat auch gereicht.«
»Sollen wir heute Abend die Schiffstour machen, von der Sie gesprochen haben?«, fragte sie, und er merkte, wie schwer es ihr fiel den ersten Schritt zu tun. Wie viel musste ihr daran liegen, dachte er.
»Ja, gerne.«
Er hatte ihr längst den gestrigen Abend verziehen, und es war ein guter Tag für eine Schiffstour. Es regnete fast überhaupt nicht, und wenn, dann lösten sich nur für ein paar Minuten einzelne Tropfen aus dem Himmel.
»Eine Abendfahrt?«
»Wie Sie wollen«, sagte sie und ließ ihn auf seiner Bank zurück.
Er folgte ihr nach einer Weile und sah am Gehege der Okapis wieder die Malerin. Nelly grüßte sie nicht, obwohl sie sie kennen musste, denn sie war sicher so oft hier wie er selbst.
»Der Kommissar und die Bärenpflegerin«, sagte die Malerin, und es hörte sich an wie der Titel eines Bildes. Ein Bild, auf dem ein kleiner Mann im
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