Fenster zum Zoo
karierten Blouson und karierter Schirmmütze eine große Frau in Olivgrün verfolgte, im Hintergrund grasten Okapis.
Muschalik blieb stehen. »Darf ich Sie etwas fragen?«
Sie nickte erstaunt.
»Sie kennen doch Nelly Luxem.«
Sie zog die grauen Augenbrauen hoch, sah ihn fragend an, und beide blickten den Weg hinunter, den Nelly gerade verlassen hatte.
»Aber sicher«, sagte sie, und er versuchte, aus der Art, wie sie es sagte, zu erkennen, was sie dachte.
»Wenn ich Kommissar wäre, würde ich sie nicht aus den Augen lassen«, sagte sie und sah ihn eindringlich an.
»Und der Praktikant?«
»Er ist voller Unruhe. Es ist nur ein Gefühl, das ich habe, ein sehr unbestimmtes Gefühl. Er scheint gefährlich zu sein.«
»Das habe ich auch.«
»Aber da ist noch etwas.«
Muschalik horchte auf.
»Die Gefahr geht nicht allein von ihm aus.«
»Wer …?«
Ratlos zuckte sie mit den Schultern, verwischte mit den Fingerspitzen einen Strich zu einem Schatten, hielt den Block in Armeslänge von sich und legte ihn zurück auf ihre Knie.
* * *
Sie trafen sich an der Anlegebrücke 5 gegenüber der Philharmonie, dort, wo die Altstadt begann. Nelly erschien – wie wohl immer außerhalb des Zoos – in ihrem knallroten Sommermantel, Muschalik mit Knirps, da er dem Wetter nicht traute. Sie setzte zuerst vorsichtig den rechten Fuß auf die hölzerne Anlegebrücke. Dann zog sie den anderen Fuß nach. Hinter ihr drängelten die Passagiere. Sie wurde geschubst und gestoßen, aber sie achtete nicht darauf. Muschalik verlor den Anschluss, eine Gruppe hatte sich zwischen sie gedrängt. Er sah ihre Schultern in dem knallroten Sommermantel und ihre hellbraunen Haare und versuchte sie einzuholen und an Deck zu dirigieren. Sie drehte sich suchend nach ihm um. Er machte ihr ein Zeichen, die schmale Treppe hochzugehen, doch sie verstand es nicht. Als er endlich neben ihr stand, ging er vor, die Treppe hinauf, und sie folgte ihm dicht.
Die Holzbänke an Deck, die rund um den Schiffsrumpf herumführten und in Reihen hintereinander standen, waren schon zu einem großen Teil besetzt. Muschalik und Nelly erwischten einen letzten, ungünstigen Platz direkt vor der flatternden Fahne am Heck.
»Das Heck«, sagte Muschalik, »Heck ist gut.«
Und er spürte wieder den Blick im Nacken, so intensiv, dass er sich an der Stelle kratzen musste. Suchend sah er sich um, studierte eingehend jedes Gesicht, keiner der Passagiere schien ihn zu beachten.
Das Wasser quoll in einem schäumenden Schwall unter der Schraube hervor. Die Fahne flatterte laut. Das Schiff legte pünktlich um zwanzig Uhr ab, sie hatten eine Fahrt von zwei Stunden vor sich und würden in die Dunkelheit hineinfahren. Die Passagiere redeten gegen die Motorengeräusche an. Nelly beobachtete sie, und Muschalik beobachtete Nelly.
Sie war auf dem Wasser, dem Wasser ganz nah, das schien ihr zu genügen und zu gefallen. Sie hatte keine Angst, nicht wie in der Seilbahn oder auf der Hohenzollernbrücke, das Wasser beunruhigte sie nicht. Leicht wiegte sie sich im Rhythmus der Wellen. Ein roter Sonnenuntergang legte sich über die Dächer der Stadt und färbte das Wasser kupfern. Das Schiff drehte schließlich in Höhe des Stadtteils Wesseling und machte sich nahe dem rechten Ufer auf den Rückweg. Als es so dunkel war, wie es in einer Großstadt dunkel werden konnte, und das Rheinpanorama nur noch durch Lichter zu erkennen war, saßen sie allein an Deck und probierten mehrere Sitzplätze aus.
Es war kühl geworden. Bunte Lampions spiegelten sich in Regenbogenfarben in den schwarzen Wellen. Das Schiff glitt mit dem Strom ohne viel Motorenlärm rheinabwärts, und unter Deck spielte eine Band zum Tanz auf. Es war ein bekanntes Lied über den Vater Rhein und sein Bett und den Wein an seinen Ufern, und Muschalik klopfte mit den Füßen den Takt.
Nelly sah aufs Wasser und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Warum nehmen Sie sich so viel Zeit für mich?«, fragte sie ohne ihn anzusehen.
»Ich will nur, dass es Ihnen wieder gut geht.« Und als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Und dass Sie den Unfall so bald wie möglich vergessen.«
»Er macht Andeutungen«, stieß sie plötzlich zusammenhanglos und mit fremder, entsetzter Stimme hervor. Es war ein Hilfeschrei.
»Wer?«
Der Wind war aufgefrischt und verschluckte ihre Antwort. Als er sie bat, sie zu wiederholen, reagierte sie nicht.
»Jartmann?«, fragte er nach und verfluchte den Wind über dem Rhein.
Erst schüttelte sie den
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