Fenster zum Zoo
Kopf, dann nickte sie. Die Enden ihres roten Halstuches flatterten und schlugen ihr ins Gesicht.
Als das Schiff anlegte, wartete Nelly, bis alle Passagiere an Land gegangen waren, so als könne sie sich vom Wasser nicht trennen. Endlich kam ein Steward zu ihnen und forderte sie freundlich auf, das Schiff zu verlassen. Auf Nellys enttäuschten Blick hin, erklärte er: »Sie können leider nicht an Deck übernachten.« Er machte eine zackige Verbeugung dazu.
Am Ufer zeigte Muschalik durch den Rheingarten hinüber zu den schmalen Häusern der Altstadt und schlug ihr ein Kölsch in der Römerschänke zur Abrundung des Abends vor, aber Nelly lehnte ab.
»Trinken Sie lieber Wein?«, wollte er wissen, als Duisburgerin mochte sie vielleicht kein Kölsch.
Nein, darum ginge es nicht, sie müsse nur sehr früh aufstehen und für ihre Gewohnheit wäre es schon spät, sagte sie voller Unruhe.
»Vielleicht ein anderes Mal«, schlug er vor.
»Vielleicht.«
»Welche Andeutungen macht er?«, versuchte Muschalik den Faden wieder aufzunehmen. »Ist es wegen Duisburg?«
Sie antwortete nicht, sondern sah mit versteinerter Miene in die Dunkelheit.
»Wegen Duisburg?«, drängte er sie.
Sie nickte unmerklich.
»Was ist in Duisburg geschehen? Und was geht es ihn an?«
Sie wandte sich von ihm ab und ging voraus. Er überholte sie, stellte sich vor sie, blockierte ihren Weg.
»Reden Sie. Vielleicht kann ich etwas tun.«
»Nein«, sagte sie leise, »das können Sie nicht.«
Sie folgten dem Ufer über die Trankgassenwerft. Auf der Hohenzollernbrücke donnerten wieder die Züge, deutlich hörten sie das rhythmische Schlagen der Räder auf den Gleisen, das sich entfernte. Nach hundert Metern, gegenüber von St. Kunibert, teilte sich der Uferweg. Eine Hälfte blieb auf gleicher Höhe, die andere führte hinunter. Im Frühling konnte man sie nicht begehen. Wenn die Schneeschmelze den Rhein ansteigen ließ, lag sie fast auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel. Bei Stromkilometer 689 trat das Wasser dann oft über die Uferbefestigung und überschwemmte den unteren Weg.
Aber heute hielt der Rhein gebührenden Abstand, nur an den kleinen Treppenaufgängen schlug er warnend gegen die Stufen, und die leeren Anlegebrücken der »MS Rheintreu«, »Stolzenfels« und »Siebengebirge« ächzten und stöhnten im Wellengang. Das Hotelschiff Swiss Cristal hatte angelegt. An Deck war eine Bar eingerichtet, und das bläuliche Licht des Swimmingpools spiegelte sich in den Gesichtern der Gäste. Im Hintergrund spielte eine Drei-Mann-Band Glenn Miller.
Muschalik verabschiedete sich von Nelly kurz vor Mitternacht am Haupteingang. Sie wollte wieder durch den Zoo und den Nebeneingang gehen, um den Weg nach Hause abzukürzen.
»Kommen Sie jetzt noch hinein?«
»Ich habe einen Schlüssel.«
»Es ist gleich Mitternacht«, sagte er, sah in den klaren Himmel und fand den Mond, »und Vollmond obendrein. Haben Sie keine Angst?«
Sie schüttelte den Kopf, und Muschalik bereute seine Frage sofort, der Zoo war womöglich der einzige Ort auf der Welt, an dem sie keine Angst hatte.
»Darf ich trotzdem mitgehen? Ich war noch nie nachts im Zoo.«
»Nein«, sagte sie, »das ist nicht erlaubt.«
»Niemand wird es erfahren«, bettelte er.
»Nein«, wiederholte sie ernst und ließ ihn stehen.
Sie schloss das Tor auf und sorgfältig wieder hinter sich zu. Durch die Gitterstäbe warf sie ihm einen letzten Blick zu, und die Trauer, die darin lag, traf ihn wie ein verletzender Pfeil. Eine Gefangene. Ratlos sah er ihren knallroten Sommermantel im dunklen Zoo verschwinden, ging auf und ab, versuchte seinen Kopf durch das Gitter zu stecken und etwas zu erkennen. An seinem Handgelenk baumelte der Knirps.
Dann beschloss er, Nelly wenigstens nach Hause zu begleiten und sie nicht mitten in der Nacht die Stammheimer Straße allein entlanggehen zu lassen. Der Nebeneingang lag in der gleichen Finsternis, hinter den weißen Drehtüren war nur Dunkelheit. Muschalik blieb stehen und wartete. Dann sah er auf der menschenleeren Stammheimer Straße in einiger Entfernung einen großen Schatten, der sich bewegte, und er beeilte sich ihn einzuholen. Sie waren fast auf gleicher Höhe, zwischen zwei Straßenlaternen, als sich der Fremde umdrehte. Ein Mann, der Muschalik fragend anstarrte.
»Entschuldigung«, murmelte Muschalik, »eine Verwechslung.«
Er lief weiter, an dem Mann vorbei, kam auf die Boltensternstraße und bog am Blumengroßmarkt links in die leere Barbarastraße, als
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