Fenster zum Zoo
sich Tina Hering.
»Das ist es ja. Ich hatte aber meiner Kundin versprochen, den Mund zu halten. Frauen kann man nix erzählen.« Er schüttelte den Kopf.
»Schweigen für zweitausend Euro?«
»Ach, das hat sie auch erzählt?« Paul Dörner war sauer.
»Ja, warum auch nicht? Ist doch nicht meine Angelegenheit. Wenn ich jedem, den ich fahre, auf die Finger gucken würde, hätte ich viel zu tun. Sie glauben ja nicht, was die Leute so alles transportiert haben wollen. Aber mir ist das egal. Ich fahre alles. Das ist mein Job.«
»Kommen wir jetzt in die Zeitung?«, fragte Tina Hering und beugte sich vor.
»Wollen Sie denn in die Zeitung?«, wollte Kraft wissen.
»Aber klar. Eine Belohnung gibt’s wohl nicht, oder?«
»Nein. Wofür auch? Nur, wenn es in der Zeitung steht, müssen Sie die zweitausend Euro auch beim Finanzamt angeben«, erinnerte Kraft die beiden.
»Das hätten wir sowieso gemacht«, beteuerte Paul Döring.
»Wann waren Sie denn wieder zu Hause?«
»Kurz nach drei am Morgen.«
»Sie können gehen«, sagte Kraft, ohne eine Miene zu verziehen.
Paul Dörner nahm seine Zigaretten und ging ins Sekretariat, seine Cowboystiefel klackten bei jedem Schritt auf dem Linoleum, Tina Hering folgte ihm, und sie gaben ihre Personalien bei Lise Becker an. Tina Hering fragte noch einmal nach der Zeitung.
Muschalik und Kraft blieben allein im Besprechungszimmer zurück. Kraft schloss die Tür und sagte: »Immerhin. Ein Teilergebnis. Jetzt haben wir von Zooeingang zu Zooeingang und wieder zurück einen ziemlich glaubwürdigen Zeugen.«
Kraft zerlegte einen Kugelschreiber in seine Einzelteile, und Muschalik verbog einen großen Teil der Büroklammern, die in der kleinen Schale auf dem Tisch lagen.
»Ja, aber Frau Kruse hat den Ball deiner Kinder umsonst mit Honig gefüllt. Eine Schande«, beschwerte sich Muschalik, erzählte Kraft von der Wurmpastenspritze und warnte ihn wegen der Zwangsernährung, die eventuell auf seine Kinder zukommen könnte.
»Eine clevere Idee«, lobte Kraft ihn großmütig, »eigentlich viel zu clever, um sie fallen zu lassen.«
»Das habe ich auch nicht vor. Ich bin jedenfalls nächste Nacht im Zoo.«
»Viel Spaß.«
Die Einzelteile des Kugelschreibers passten nicht mehr zusammen, und die Büroklammern waren nicht mehr zu gebrauchen.
»Von der Bärenpflegerin immer noch keine Spur?«, fragte Lise Becker Muschalik. Seit er wieder im Dienst war, überging sie Kraft.
»Nein«, seufzte er.
»Die wird schon noch kommen. Willst du meine Theorie hören?«
»Ja, immer.«
Lise Becker war überzeugt, dass der Grizzly Ben Krämer getötet hatte, weil dieser seine über alles geliebte Pflegerin Nelly gequält hätte. »Er hat sie verteidigt, ganz einfach.«
»Aber wenn überhaupt, dann hat er Nelly nicht körperlich gequält, dann hättest du vielleicht Recht, sondern höchstens psychisch unter Druck gesetzt«, gab Muschalik zu bedenken.
»Na und? Alles ist immer irgendwie psychisch«, sagte Lise Becker.
»Ja, mag sein, aber ich glaube nicht, dass ein Bär das bemerken würde.«
»Nicht irgendein Bär«, sagte Lise Becker und schüttelte den Kopf, »aber ihr Bär.
»Vielleicht hast du Recht.«
»Natürlich habe ich Recht. Aber außer dir hört mir hier keiner zu.«
Kraft hatte die beiden beobachtet, vom einen zum anderen gesehen und sich an dem Gespräch nicht beteiligt.
Lise Becker wollte Muschaliks Hand nicht loslassen, als er sich verabschiedete: »Solange der Fall nicht abgeschlossen ist, kommst du wenigstens manchmal vorbei. Das ist das Gute daran.«
»Ich weiß nicht, ob das gut für ihn ist«, meldete sich Kraft und hielt Muschalik die Tür auf.
Als sie den langen Flur hinunter zum Ausgang gingen, fiel Muschalik auf, dass an seiner ehemaligen Bürotür immer noch nicht Krafts Namensschild hing.
»Das ist Niemandsland«, sagte Kraft, »geh ruhig hinein. Es ist nicht mehr deines und noch nicht meines. Ich mag nichts daran ändern, solange du noch arbeitest.«
Für einen kurzen Augenblick setzte Muschalik sich auf den ausgeleierten Drehstuhl, legte seine karierte Schirmmütze auf den Schreibtisch neben den neuen Computer und sah aus dem Fenster. Der Blick hinaus weckte Erinnerungen. Aber sie stimmten ihn nicht wehmütig. Hier wollte er um keinen Preis noch einmal sitzen – und womöglich zusammen mit einem Computer. Der Fall Nelly Luxem war ihm wie eine ungebetene Zugabe in den Schoß gefallen, ein Überhang sozusagen. Er hatte seinen Beruf mit seinem Hobby verbinden
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