Ferdinand Graf Zeppelin
der freien Hand gleichzeitig einen der Kellner zu sich heran. »Ein Glas Wasser. Aber rasch bitte.« Es war einfach zu viel gewesen, was seit den frühen Morgenstunden auf ihren immerhin schon 70 Jahre alten Ehemann eingestürmt war. Viel zu viel. Diese extreme Mixtur aus Euphorie, Katastrophe, dem sicher geglaubten Ende, der darauf folgenden totalen Depression und nun diese ersten Anzeichen eines triumphalen Neuanfangs. Ein einziges Wechselbad der Gefühle, das auch einem wesentlich jüngeren Menschen schwer zu schaffen gemacht hätte. »Komm jetzt bitte mit und lass uns rasch auf unser Zimmer gehen«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Es ist genug für heute.«
Der Graf griff mit zitternden Händen nach dem Wasserglas, das ihm der Ober auf einem Silbertablett servierte und trank es in einem Zug leer, dann schenkte er seiner Frau ein dankbares Lächeln. »Das hat gut getan. Und du hast recht: für heute ist es wirklich genug!« Er räusperte sich kurz und hob die rechte Hand, um die aufgeregte, kunterbunt durcheinander diskutierende Menschenansammlung zum Schweigen zu bringen. »Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen allen für Ihre Anteilnahme und Unterstützung ganz herzlich bedanken. Aber nun haben Sie sicherlich Verständnis dafür, dass ich müde bin und ein bisschen zur Ruhe kommen will. Gute Nacht.«
Er tastete nach Isabellas rechter Hand, die er fest umschlossen hielt, während sie den Empfangsbereich des Hotels verließen – begleitet von den euphorischen Hochrufen seiner Arbeiter und der Friedrichshafener Bürger.
Trotz aller Erschöpfung fanden die beiden Eheleute in dieser Nacht nur wenig Schlaf. Viel zu heftig waren sie noch aufgewühlt von den Ereignissen dieses Tages. Es erschien Ferdinand von Zeppelin geradezu unwirklich, wenn er wieder und wieder an die vergangenen Stunden zurückdachte: erst die triumphale Luftfahrt von Friedrichshafen bis nach Mainz, bei der Hunderttausende dem Luftschiff und seiner Besatzung zugejubelt hatten, dann die geglückte Außenlandung des LZ 4 bei Echterdingen auf festem Boden. Im Anschluss daran dieser niemals für möglich gehaltene Massenauflauf der Menschen aus ganz Stuttgart und seiner Umgebung, die »ihren Grafen« als Volkshelden hatten hochleben lassen. Ein Volksheld, der nur wenige Stunden später um Fassung ringend vor den rauchenden Trümmern seiner Existenz hatte stehen müssen!
»Wenn ich mir vorstelle, die Feuersbrunst hätte dich womöglich in der Gondel überrascht … Nicht auszudenken!« Schaudernd schmiegte sich Isabella an den Oberkörper ihres Mannes. »Um Haaresbreite hätte ich dich für immer verloren, Ferdi. Was für ein entsetzlicher Gedanke …«
»Ach Bella, du übertreibst. Ich habe mich heute zu keiner Sekunde in Lebensgefahr befunden. Und bei diesem Unglück, so katastrophal es für mich persönlich auch ist, handelt es sich dennoch lediglich um eine geradezu schicksalshafte Verkettung ganz besonders widriger Umstände. Aber niemals, hörst du, niemals hat Lebensgefahr für mich bestanden.«
»Das sagst du jetzt so leicht dahin …« ließ sich Bella nicht so ohne weiteres beruhigen. »Es ist jedenfalls eine unerträgliche Vorstellung für mich als deine Ehefrau, wenn ich daran denke, was alles hätte passieren können. Mag sein, dass du schon seit deinen jugendlichen Abenteuern in Amerika gewohnt bist, der Gefahr ganz anders ins Auge zu schauen, als ich das kann …«
»Aber meine liebe Bella!« Trotz aller Erschöpfung zuckte für Sekundenbruchteile ein amüsiertes Lächeln über die müden Gesichtszüge des alten Grafen. »Was haben denn meine Erlebnisse im amerikanischen Bürgerkrieg mit der Brandkatastrophe von Echterdingen zu tun? Nun beruhige dich aber bitte.« Zärtlich strich er mit seiner immer noch leicht zitternden rechten Hand über ihr grau gewordenes Haar. »So fürchterlich sich das Unglück für mein Unternehmen und meine Planungen zweifelsohne darstellt, so glimpflich ist es im Grunde genommen doch ausgegangen. Niemand ist zu Tode gekommen, und Gott sei Dank hat auch kein Mensch bleibende Verletzungen erlitten – dazuhin scheinen die Dinge inzwischen ja eine ganz gewaltige Eigendynamik zu entwickeln. Allein, wenn ich an die Summen denke, die uns der Uhland vorhin genannt hat. Wenn das tatsächlich so zutrifft, dann wäre die finanzielle Zukunft bereits gesichert und es könnte wieder weiter gehen mit den Luftschiffen. Das alles … es ist mir beinahe, als befände ich mich in
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