Ferien mit Biss
Tepes lag zweifelsohne in Führung. Sein Gegner schwankte, war pitschnass und suchte in seiner Nase verzweifelt nach einem kräftigen Nieser. Die Vampirmenge unterhalb der Hängebrücke jubelte Vlad Tepes zu. Der blähte die Nasenlöcher.
Helene Steinbrück blähte die Backen. Es war ihr erster Ha-Chi-Kampf. Sie war sichtlich beeindruckt.
Daka hatte sich gerade bei Dudu etwas zum Knabbern gekauft. Sie zog Helene am Arm. »Komm, Silvanias Auftritt fängt gleich an.«
Silvania war Saikatotänzerin. Seit ihrem sechsten Lebensjahr tanzte sie im Verein. Seit ihrem sechsten Lebensjahr trat sie jedes Jahr in der Nationalfeiernacht auf.
Daka und Helene zwängten sich durch die Vampirmenge bis direkt vor die Bühne. Die Saikatogruppe hatte schon Aufstellung genommen. Alle zehn Tänzerinnen und zehn Tänzer hatten den rechten Arm und die Hand ausgestreckt. An ihrem Zeigefinger hing jeweils eine Fledermaus. Die Tänzerinnen und Tänzer begannen gleichzeitig, mit einem Fuß aufzustampfen. Es klang wie ein Donnergrollen, das immer näher kam. Plötzlich ertönte eine Orgel. Die Tänzerinnen und Tänzer hoben gleichzeitig vom Boden ab und bildeten blitzschnell in der Luft eine riesengroße Kugel. Um sie herum bildeten die Fledermäuse einen Kreis. Es sah aus, als schwebte der Saturn mit seinem Ring über der Bühne im Wald.
Helene blieb der Mund offen stehen.
Daka griff neben Dudus Knabbereientüte.
Durch die Zuschauermenge ging ein Raunen.
Daka und die anderen Vampire hatten schon viele Saikatotänze gesehen. Doch jedes Jahr ließ sich die Gruppe zur Nationalfeiernacht etwas Besonderes einfallen. Silvania wurde per Fledermauspost in Deutschland über die neuen Tanzschritte informiert. Sie hatte gestern noch zwei Stunden mit der gesamten Gruppe geübt.
Die Saikatotänzerinnen und -tänzer wirbelten durch die Luft und über die Bühne. Sie flogen im Spagat von einer Bühnenseite zur anderen. Sie schossen wie Raketen in die Höhe und explodierten wie Feuerwerkskörper. Sie drehten Pirouetten auf dem Kopf. Sie hielten sich mit den Füßen die Ohren zu. Sie wackelten mit den Köpfen, den Hüften und den Popos. Die Fledermäuse auch.
Eigentlich interessierte sich Helene nicht fürs Tanzen. Aber das, was Silvania und ihre Gruppe dort auf der Bühne zeigten, das war mehr als Tanz. Das war Zauberei. »Zensatoi futzi!«, rief Helene ihrer Freundin zu, als sie nach dem Tanz von der Bühne stieg. Helene kannte schon ein paar vampwanische Ausdrücke. Zum Beispiel ›Zensatoi futzi‹. Das hieß ›supermegawahnsinnsenormsensationellverblüffendausgezeichnet‹.
Silvania lächelte Helene zu. Dann zog sie ein rosafarbenes Spitzentaschentuch aus ihrem Rock und tupfte sich ein paar Schweißperlen von Stirn, Nase und Oberlippe.
Daka tupfte ihrer Schwester mit der Serviette von Dudu über die Wange. »Du warst absoluter Wahnsinn!«
»Datiboi«, hauchte Silvania. Sie hatte rote Ringe um die Augen. Auch wenn sie als Saikatotänzerin schon seit sechs Jahren auf der Bühne stand, war sie bei jedem Auftritt nervös. Ein bisschen zumindest.
»Von wem hast du denn die dunkelrote Rose bekommen?« Helene deutete auf die Blume, die Silvania in ihren Gürtel gesteckt hatte.
»Weiß nicht. Die hat jemand für mich abgegeben.«
»Bogdan. Garantiert.« Daka nickte bestimmt.
Silvania seufzte leise. Sie wollte nicht über Bogdan reden. Bogdan war ihr Freund aus der Vampirkrippe. Bogdan war nett. Sehr nett. Und sehr klug. Manchmal war er sogar lustig. Aber er war ... eben Bogdan. Er hatte keine winterhimmelgrauen Augen. Und keinen Leberfleck auf der linken Wange. Er hatte auch keinen rot-blau gestreiften Schal, der nach Waldboden, Meersalz und Limo roch. Bogdan war Bogdan. Und nicht Jacob.
Silvania seufzte nochmals, als sie an Jacob dachte. Er war ihr Nachhilfelehrer in Bindburg. Vielleicht war er sogar ihre große Liebe. Das wusste Silvania noch nicht. Sie hoffte, dass sie es bald herausfinden würde.
»Kommt, gehen wir. Sonst verpassen wir noch das Rotzen der Jungfrauen«, sagte Silvania, um schnell das Thema zu wechseln.
»Das WAS?« Helene klopfte sich aufs Hörgerät. »Ich habe gerade Rotzen der Jungfrauen verstanden.«
Daka und Silvania nickten. Sie zogen Helene zur Mitte der Waldlichtung. Dort hatte sich eine Schar Schaulustiger versammelt. Und elf Jungfrauen. Sie standen an einer Linie mit gut fünf Meter Abstand zu einer Vampirpuppe, die an einem Pfahl aufgestellt war. Eine Jungfrau beugte sich vor, hielt sich mit dem Zeigefinger das
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