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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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den Kopf. Martin setzt sich vorsichtig zu mir in den Sand.
    »Du bist echt komisch«, sage ich zu ihm und blicke ihm in die Augen.
    »Ich bin komisch? Hast du dich schon mal angeguckt? Erst redest du davon, dass es heute Nacht gefährlich werden könnte, und dann, paar Minuten später, wirst du von diesem hässlichen Typen bedrängt. Du hättest ja gleich sagen können, was Sache ist.«
    »Das war nicht so gemeint.« Wie kann ich ihm das bloß klarmachen?
    Martin schaut mich ratlos an und schüttelt den Kopf. »Das war nicht so gemeint? Nicht? Weil es nämlich schon einen komischen Eindruck macht, findest du nicht?«
    Ich muss wieder lachen. Was soll ich sonst machen? Es ist zu blöd.
    »Hör zu. Ich kenne diesen Typen nicht. Und ich wusste auch nicht, dass der mich so eklig anmachen würde, wirklich nicht. Das war ein dummer Zufall. Und wenn du mir nicht glaubst, dann kannst du verschwinden, ehrlich. Das brauch ich nicht.« Ich hebe einen Stein vom Boden auf und schleudere ihn ins Wasser.
    »Ich glaube dir.« Er ist jetzt ganz ruhig, lehnt sich zurück und stützt seine Ellenbogen im Sand ab.
    Eine Weile sagen wir nichts. Starren aufs Meer und lassen Sand durch unsere Finger rieseln. Die Wellen sind heute Nacht richtig hoch und geben ein gewaltiges Rauschen von sich. Der Mond scheint hell und taucht den Strand in ein blasses Licht. Immer wieder wird er von schnell dahinziehenden Wolken verdeckt, die merkwürdige Schatten über uns werfen.
    »Danke, dass du mich da rausgeholt hast.« Ich lege meine Hand auf Martins.
    »Es tut mir leid, dass Männer so sind.«
    Es tut ihm wirklich leid, das sehe ich an seinem zerknirschten Gesicht.
    »Sind ja nicht alle so.« Ich versuche zu lächeln.
    »Es reicht, dass nur ein paar so sind.« Martin zieht seine Hand unter meiner wieder hervor, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er bietet mir auch eine an, aber ich winke ab.
    »Weißt du, ich bin noch nicht lange hier, aber ich habe den Eindruck, dass ich hier ganz viel mitmache, durchmache, für mich lerne. So viel wie in mehreren Jahren Schule nicht.«
    »Ich weiß, was du meinst, so ungefähr.« Er atmet lautlos den Rauch aus.
    »Ja?« Ich sehe ihn von der Seite an.
    »Wenn man zu Hause ist … bei seinen Eltern in der Kindrolle, in der Schule in der Schülerrolle, bei den Kumpels in der Freakrolle … wie auch immer. Jedenfalls ist man immer in dieser Rolle, die man schon ganz gut eingeübt hat und von der man den Text schon im Voraus weiß.« Er dreht sich zur Seite und stützt sich auf den Unterarm. Er schaut mich ernst an. »Aber hier bist du für dich. Allein. Ohne Rolle. Mit neuen Menschen, mit einer neuen Aufgabe. Wenn du willst, kannst du dir natürlich sofort eine neue Rolle zulegen, aber wenn nicht, dann kannst du kurz innehalten und in dich reinhören. Das ist ein guter Zustand, finde ich.«
    Ich nicke. Er hat recht. Vielleicht sollte ich ihm von meinem Rollenbuch erzählen, aber dann lasse ich es sein, das wäre zu viel auf einmal. Ich strecke nun doch meine Hand nach seiner Zigarette aus, um ein paar Züge davon zu nehmen, reiche sie ihm dann wieder zurück.
    »Nur die Kumpels verfolgen dich noch«, sage ich.
    »Jetzt sind sie ja keine Kumpels mehr.« Er sieht mir in die Augen.
    »Tut mir leid, dass du deine Kumpels verloren hast.«
    »Muss es nicht.« Er wirft den Zigarettenstummel in den Sand und wir schauen zu, wie der restliche Tabak verglüht.
    »Lass uns wieder zurückgehen, zu den anderen, sonst machen die sich noch ernsthaft Sorgen«, schlage ich schließlich vor.
    »Du willst da wieder hin? Bist du sicher?« Martin hebt skeptisch die Augenbrauen.
    »Wenn ich eine Rolle mit Sicherheit nicht annehmen werde, dann die Opferrolle. Lass uns amüsieren!«
    Wir klopfen uns den Sand von den Klamotten und laufen wieder zurück, langsam, schlendernd, nah beieinander, sodass sich unsere Arme ab und zu berühren.
    »Du bist gar nicht betrunken«, wundere ich mich.
    »Wenn du wüßtest!« Martin torkelt demonstrativ.
    »Mir war schlecht. Die ganze Zeit. Aber jetzt ist es okay.«
    »Das ist die frische Luft.«
    »Wir sollten öfter mal so spazieren gehen.« Ich lächele Martin an. »So als Freunde, meine ich«, schiebe ich sicherheitshalber hinterher.
    Er lächelt zurück und nickt etwas vage. »Die anderen wundern sich bestimmt schon, wo wir bleiben.«
    Ich laufe über den Strand, der menschenleer ist. Man hört nur Hunde bellen, aber sieht keine. Es ist dunkel. Auf dem Wasser schwimmen Möwen, lassen sich von den Wellen

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