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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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los?« fragte ich verwundert. »Was hast du, mein Liebling?«
    Sie schrie aus vollem Halse. Erschreckt drehte ich sie um und lopfte ihr auf den Rücken. Zuerst dachte ich, sie hätte eine dieser Koliken, aber sie krümmte sich nicht zusammen. Allerdings zappelte sie heftig, und als ich sie aufnahm, sah ich den langen, roten Strich auf der zarten Unterseite ihres Arms. Im Kleidchen hatte noch eine Nadel gesteckt, und die hatte ihr den Arm zerkratzt.
    »Oh, mein Kleines! Entschuldige bitte! Tut mir leid!« Tränen traten mir in die Augen, als ich die Nadel suchte und herauszog.
    »Oh, Schätzchen«, murmelte ich. »Jetzt ist es wieder gut! Mami hat dich lieb, hörst du?« Mühsam zog ich Brianna das Kleid an, wischte ihr das Gesicht trocken und trug sie in unser Schlafzimmer, wo ich sie auf das Doppelbett legte. Hastig schlüpfte ich in einen guten Rock und eine frische Bluse.
    Als ich mir die Strümpfe anzog, klingelte es an der Haustür. Ich
zwängte mich in meine engen Krokodillederschuhe, nahm Brianna auf und ging zur Tür.
    Es war Frank, der wegen der vielen Tüten, die er im Arm trug, nicht hatte aufschließen können. Mit meiner freien Hand nahm ich ihm die meisten davon ab und stellte sie auf den Tisch im Flur.
    »Ist das Essen fertig, Liebling? Ich habe eine neue Tischdecke und Servietten mitgebracht. Unsere waren schon ein bißchen schäbig. Und den Wein natürlich.« Lächelnd hielt er die Flasche in die Höhe. Dann sah er mich und hörte zu lächeln auf. Mißbilligend musterte er mein zerzaustes Haar und die Bluse mit den allerneuesten Milchflecken.
    »Himmel, Claire!« stöhnte er. »Hättest du dich nicht ein wenig zurechtmachen können? Ich meine, schließlich hast du ja den ganzen Tag nichts anderes zu tun. Hättest du nicht die paar Minuten…«
    »Nein!« erwiderte ich ziemlich laut. Ich schob ihm Brianna, die schon wieder wimmerte, in die Arme.
    »Nein!« wiederholte ich und nahm ihm die Weinflasche aus der Hand.
    »Nein!« schrie ich und stampfte mit dem Fuß auf. In weitem Bogen holte ich mit der Flasche aus, doch da Frank sich rasch duckte, traf ich nicht ihn, sondern den Türpfosten. Ein purpurroter Regen Beaujolais ergoß sich auf die Stufen und hinterließ glitzernde Scherben.
    Ich schleuderte den Flaschenhals in die Azaleen und lief ohne Mantel in den Nebel. An der Gartenpforte stieß ich auf die verdutzten Hinchcliffes, die eine halbe Stunde zu früh kamen. Wahrscheinlich wollten sie mich bei einer hausfraulichen Unzulänglichkeit ertappen. Hoffentlich ließen sie sich das Essen gut schmecken.
     
    Ziellos fuhr ich durch den Nebel, bis das Benzin knapp wurde. Aber noch wollte ich nicht nach Hause. In ein Café vielleicht, das rund um die Uhr geöffnet hatte? Dann fiel mir ein, daß es Freitag und beinahe schon Mitternacht war. Es gab einen Ort, wo ich mich hinwenden konnte. Ich wendete und fuhr in unseren Vorort zurück, zur Kirche Sankt Finbar.
    Die Kirche war zu dieser Stunde schon abgeschlossen, aber es gab ein Nummernschloß unter dem Türknauf, das nächtlichen Kirchgängern den Eintritt ermöglichte. Leise huschte ich hinein.

    Frank hatte sich über meine Besuche in Sankt Finbar gewundert. »Was ich nicht verstehe, ist, nun…«, hatte er sich so taktvoll wie möglich erkundigt, »wieso dir diese Sache mit der ewigen Anbetung so wichtig ist. Früher warst du doch auch nicht so fromm, genausowenig wie ich. Und die Messe besuchst du auch nicht. Pater Beggs fragt mich jede Woche nach dir.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht erklären, Frank. Irgendwie… brauche ich das.« Hilflos sah ich ihn an. »Dort… dort finde ich Frieden.«
    Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen, aber dann wandte er sich kopfschüttelnd ab.
    Hier konnte ich wirklich Frieden finden. Der Parkplatz an der Kirche war bis auf den Wagen des Gläubigen, der von elf bis zwölf beim Allerheiligsten wachte, leer gewesen. Jetzt hustete ich leise, um den Mann auf mich aufmerksam zu machen, ohne ihn direkt anzusprechen. Dann kniete ich mich hinter ihn. Nach einer Weile stand er auf, ging vor dem Altar kurz in die Knie und nickte mir zu, als er an mir vorbei zur Tür schritt.
    Sie fiel ins Schloß, und ich war allein vor dem Altarsakrament, dem mächtigen goldenen Strahlenbündel der Monstranz. Auf dem Altar standen zwei riesige Kerzen, deren Flammen einen weichen Lichtschein warfen. Ich schloß die Augen und lauschte der Stille.
    In einem Schwall von Gedanken und Gefühlen stürmten die Erlebnisse

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