Ferne Ufer
kleinen Holzkiste über den Kanal zu entsenden.«
Wieder nickte Jamie. »Jemand, der bereits eine Sammlung solcher Kostbarkeiten besitzt, würde kein Aufsehen erregen, wenn er noch mehr davon erwirbt, und da sowieso niemandem auffiele, welche Münzen er hat, könnte er die wertvollsten herausnehmen und durch billigere ersetzen, ohne daß es auffällt. Und es ist kein Bankier beteiligt, der ausplaudern könnte, daß man beispielsweise Land verkauft hat.« Voller Bewunderung schüttelte er den Kopf.
»Ein kluger Plan, wer immer ihn ersonnen hat.« Er sah mich fragend an.
»Aber warum kam Duncan Kerr ausgerechnet jetzt, zehn Jahre nach der Schlacht von Culloden? Und was war mit ihm geschehen? Wollte er den Schatz auf der Insel der Seidenbären lassen oder ihn sich holen?«
»Und er hat nun die Bruja entsandt?« führte ich seine Überlegung weiter und schüttelte ebenfalls den Kopf.
»Keine Ahnung. Vielleicht hatte der Herzog einen Verbündeten? Aber wen?«
Jamie seufzte. Ungeduldig stand er auf und streckte sich. Er warf einen Blick aus dem Fenster, um nach dem Stand der Sonne auf die Uhrzeit zu schließen, wie er es stets tat, ob nun eine Uhr vorhanden war oder nicht.
»Aye, wir haben noch genug Zeit, uns darüber den Kopf zu zerbrechen, wenn wir erst einmal auf See sind. Es ist nun fast Mittag, und die Kutsche nach Paris geht um drei Uhr.«
Die Apotheke in der Rue de Varennes gab es nicht mehr. An ihrer Stelle drängten sich auf engstem Raum eine gut besuchte Taverne, ein Pfandleiher und eine kleine Goldschmiedewerkstatt.
»Maître Raymond?« Der Pfandleiher zog seine angegrauten Augenbrauen zusammen. »Ich habe von ihm gehört, Madame.« Er warf mir einen mißtrauischen Blick zu, der darauf schließen ließ, daß das, was er gehört hatte, nicht rühmlich war. »Aber er ist nun schon mehrere Jahre fort. Wenn Sie jedoch eine gute Apotheke suchen, Krasner am Place d’Aloes oder vielleicht Madame Verrue bei den Tuilerien…« Interessiert musterte er Mr. Willoughby, der mich begleitete, und lehnte sich vertraulich über den Ladentisch.
»Wären Sie daran interessiert, Ihren Chinesen zu verkaufen, Madame? Ich habe einen Kunden, der eine ausgesprochene Vorliebe für den Orient hegt. Ich könnte einen sehr guten Preis für Sie aushandeln - ohne mehr als die übliche Courtage zu fordern.«
Mr. Willoughby, der kein Franözisch sprach, betrachtete gerade mit höchster Verachtung eine Porzellanurne, die im asiatischen Stil mit Fasanen bemalt war.
»Vielen Dank«, sagte ich, »aber ich glaube nicht. Ich versuche es bei Krasner.«
In Le Havre, einer Hafenstadt, wo es von Fremden aller Art wimmelte, hatte Mr. Willoughby kaum Aufsehen erregt. Auf den Straßen von Paris zog er jedoch alle Blicke auf sich. Es zeigte sich nun allerdings, daß er sich mit Kräutern und Heilmitteln erstaunlich gut auskannte.
»Bai jei ai« , erklärte er und nahm eine Prise Senfsamen aus einem offenem Kistchen in Krasners Apotheke. »Gut für shen-yen - Nieren.«
»Ja«, erwiderte ich verblüfft. »Woher wissen Sie das?«
Er wiegte sachte den Kopf wie immer, wenn es ihm gelungen war, jemanden in Erstaunen zu versetzen.
»Ich kenne Heiler früher«, sagte er nur, drehte sich dann um und zeigte auf einen Korb, der allem Anschein nach getrocknete Schlammklumpen enthielt.
»Shan-yü« , erklärte er mit Bestimmtheit. »Gut - sehr gut - reinigt Blut, gut für Leber, keine trockene Haut, gut für Augenlicht. Sie kaufen.«
Ich trat näher, um die fraglichen Objekte in Augenschein zu nehmen,
und stellte fest, daß es sich um besonders unansehnliche getrocknete Aale handelte, die zu Kugeln aufgerollt und mit reichlich Dreck umhüllt waren. Der Preis war jedoch vertretbar, und so legte ich zwei der ekligen Dinger in meinen Korb, um Mr. Willoughby eine Freude zu machen.
Für Anfang Dezember war es mild, so daß wir uns zu Fuß auf den Rückweg zu Jareds Haus in der Rue Tremoulins machten. Auf den Straßen wimmelte es von Händlern, Bettlern, Prostituierten, Ladenmädchen und anderen ärmlichen Bewohnern von Paris, die die Wintersonne genossen.
An der Ecke Rue du Nord und Allée des Canards sah ich jedoch eine äußerst auffällige Erscheinung: eine große, gebeugte Gestalt im schwarzen Rock mit einem runden, schwarzen Hut.
»Reverend Campbell!« rief ich.
Als er seinen Namen hörte, drehte er sich sogleich um, erkannte mich, lüftete seinen Hut und verneigte sich höflich.
»Mistress Malcolm!« sagte er. »Wie überaus angenehm, Sie
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