Ferne Ufer
in Zweifel ziehen.« Er besaß den Anstand, beschämt zu wirken, und schob das Strandfoto sorgfältig unter den Stapel. Dann steckte er die Bilder wieder in die Tasche und klopfte darauf.
Er blickte erneut zum Mond auf und runzelte die Stirn. Der Meerwind spielte mit seinen Haaren und löste einige Strähnen aus dem Band, das sie hielt. Gedankenverloren strich er sie sich aus der Stirn. Offenbar hatte er noch etwas auf dem Herzen.
»Glaubst du«, begann er, ohne mich anzusehen. »Glaubst du, es war gut, daß du gerade jetzt zu mir gekommen bist, Claire? Nicht, daß ich dich nicht wollte«, fügte er hastig hinzu, da er merkte, wie ich mich verspannte. Er nahm meine Hand, so daß ich mich nicht von ihm abwenden konnte.
»Nein. Das habe ich überhaupt nicht gemeint! Bei Gott, ich will dich doch!« Er zog mich an sich und drückte meine Hand an sein Herz. »Ich will dich manchmal so sehr, daß ich glaube, mein Herz zerspringt vor Freude, daß ich dich wirklich habe«, sagte er zärtlich. »Es ist nur - Brianna ist jetzt allein. Frank ist tot, und du bist fort. Sie hat keinen Mann, der sie beschützt, keine männlichen Verwandten, die einen Ehemann für sie suchen. Hätte sie dich nicht noch eine Weile gebraucht? Hättest du nicht noch ein wenig warten sollen?«
Ich versuchte, meine Gefühle zu zügeln, bevor ich antwortete.
»Ich weiß nicht«, sagte ich schließlich, konnte aber nicht verhindern, daß meine Stimme zitterte. »In meiner Zeit ist vieles anders.«
»Das weiß ich!«
»Nein!« Ich entriß ihm meine Hand und starrte ihn wütend an. »Du weißt es nicht, Jamie, und ich kann es dir auch nicht erklären, weil du mir nicht glauben würdest. Aber Brianna ist eine erwachsene Frau. Sie entscheidet selbst, wen und wann sie heiratet, und wartet nicht darauf, daß jemand es für sie arrangiert. Und abgesehen davon muß sie nicht heiraten. Sie hat eine gute Ausbildung, sie
kann sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie muß keinen Mann nehmen, damit er sie beschützt -«
»Wenn eine Frau keinen Mann mehr braucht, der sie beschützt und für sie sorgt, ist das wahrhaft eine armselige Zeit!« entgegnete er wütend.
Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen.
»Ich habe nicht gesagt, daß sie keinen braucht.« Ich legte meine Hand auf seine Schulter und sagte etwas leiser: »Sie hat die Wahl. Sie muß nicht aus einer Zwangslage heraus einen Mann nehmen, sondern kann aus Liebe heiraten.«
Sein Gesicht entspannte sich, aber nur ein wenig.
»Du hast mich in einer Zwangslage geheiratet«, sagte er.
»Und zurückgekommen bin ich aus Liebe. Glaubst du, ich brauche dich nicht, nur weil ich mich selbst ernähren kann?«
Der harte Zug um seinen Mund wurde weicher, und er sah mir in die Augen.
»Nein«, sagte er leise. »Das glaube ich nicht.«
Er zog mich an sich, und ich legte meine Arme um seine Taille und hielt ihn fest; unter meiner Wange spürte ich das Päckchen mit den Bildern.
»Es ist mir schwergefallen, sie allein zu lassen«, flüsterte ich. »Sie wollte es. Wir haben befürchtet, daß ich dich nicht mehr finde, wenn ich noch länger warte. Aber ich habe mir Sorgen um sie gemacht.«
»Ich weiß. Ich hätte nichts sagen sollen.« Er strich mir über die Haare.
»Ich habe ihr einen Brief dagelassen. Das war alles, was ich tun konnte, weil ich doch wußte, daß ich sie… daß ich sie vielleicht nie wiedersehe.« Ich schluckte hart.
Ganz sanft streichelte er meinen Rücken.
»Aye? Das war gut, Sassenach. Was hast du ihr geschrieben?« Ich lachte unsicher.
»Alles, was mir eingefallen ist. Mütterliche Ratschläge und Lebensweisheiten - was ich aufbieten konnte. Alle praktischen Dinge - wo die Schenkungsurkunde für das Haus und die Familienpapiere sind. Und alles, was ich weiß über das Leben. Ich denke, sie wird jeden Rat in den Wind schlagen und ein wunderbares Leben führen - aber wenigstens weiß sie, daß ich an sie gedacht habe.«
Ich hatte fast eine Woche gebraucht, bis ich all die Schränke und Schreibtischschubladen in Boston durchstöbert und die Geschäftspapiere, die Sparbücher, die Unterlagen über die Hypothek und die Familienurkunden beisammen hatte. Über Franks Familie war ziemlich viel Material vorhanden: riesige Alben und Dutzende von Stammbäumen, Fotos, stapelweise alte Briefe. Meine Familie hatte wesentlich weniger hinterlassen.
Ich hatte die Schachtel aus meinem Schrank geholt. Onkel Lambert war zwar wie alle Gelehrten ein leidenschaftlicher Sammler, aber
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