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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Aber genau das war es, was mir Angst machte. Ich wusste ganz genau, welches Schicksal mich erwartete - das meiner Onkel nämlich, dasselbe, das auch meinen Vater unglücklich gemacht hatte. Bald erschien mir Incoronata als das, was sie war: eine weitere Kette in meinem künftigen Sklavendasein. Ich liebte sie immer noch, klar, aber mit jedem Tag
wurden mir ihr Klettenverhalten und ihr Gefühlsüberschwang unerträglicher. Keinen Augenblick hatte ich meine Ruhe. Im Autobus - sie ging nun wieder zur Schule - musste ich neben ihr sitzen und Händchen halten, und wenn wir nicht zusammen waren, verfolgte sie mich mit ihren Anrufen - dank der Erholung der Firma hatten auch wir jetzt leider ein Telefon. Aber was wäre ich ohne sie gewesen? Außerdem ertrug ich den Gedanken nicht, sie bei einem anderen zu wissen - den Gedanken daran, was sie mit einem anderen machen würde.
    Ich versuche, im Schreiben Trost zu finden. Auch wenn ich mich damit abgefunden habe, im Dorf zu bleiben und bei der Großmutter zu arbeiten, verzichte ich nicht auf meine Berufung; im Übrigen könnte ich Dutzende von Schriftstellern aufzählen, die Industrielle waren oder aus der Provinz stammten. Nur, es kommt nichts. Stundenlang sitze ich vor einem leeren Blatt und fühle mich ausgelaugt und ausgedorrt. Deshalb mache ich mich ans Büffeln und bestehe problemlos die Prüfungen, immerhin.
    Eines Tages hat Incoronata Fieber, und statt auf den Omnibus zu warten, fahre ich per Anhalter. Ich erwische den Fiat 124 mit Apache und Tarcisio, die beide nun auch die Schule hinter sich haben und für eine neue Sommerreise bereit sind.
    »Aber keine Arbeit, dieses Jahr.« - »Wir machen uns ein schönes Leben in Christiania«, sagen sie.
    »Christiania? Und wo soll das bitte sein?«, frage ich.
    »In Kopenhagen. Das ist das Hippie-Viertel. Rino sagt, dass dich gleich nach der Ankunft die Wikingerinnen anspringen. Sie brauchen sich nicht einmal auszuziehen, weil sie schon alle nackt sind … Und du, was machst du? Immer noch mit Incoronata zusammen? Aber hängt dir das nicht schon zum Hals raus? Warum kommst du nicht mit uns? Mit der kannst du das ganze Leben noch zusammen sein.«
    Ja, ich habe das ganze Leben noch vor mir - mit ihr und Nonnilde. Einen letzten Urlaub könnte ich mir da schon noch gönnen. Nur wer bringt es Inco bei? Und wer sagt es der Großmutter?

    Die Großmutter sagt es mir selbst. Kaum habe ich sie über den glücklichen Ausgang meiner Schulzeit in Kenntnis gesetzt, gesteht sie mir großmütig zu: »Bravo, Carlino, jetzt mach erst mal eine schöne Reise. Zwei, drei Monate, was immer du willst, denn nach der Rückkehr heißt es Ärmel hochkrempeln. Vergiss das nicht.« Dann zieht sie ihren Schlüsselbund heraus, öffnet verstohlen eine Schublade, reicht mir einen Hunderttausendlireschein und sagt: »Amüsier dich!« Na toll, hunderttausend Lire für drei Monate! Da ich sie kannte, hätte mich die Ausgabe einer solchen Summe allerdings stutzig machen müssen. Nun galt es nur noch, meinem Schatz gegenüberzutreten, und das würde wirklich schwierig werden.
    Ich überlege schon, ob ich nicht doch verzichten soll, als dieser Schatz eines Abends anfängt, vom Heiraten zu reden - von Terminen vielmehr. Jetzt muss ich mir aber wirklich etwas einfallen lassen, und mir kommt eine Idee.
    Am nächsten Morgen gehe ich hinunter aufs Land. Ich warte auf Rino, der im VW-Bus seines Onkels unterwegs ist. Über eine grässliche neapolitanische Musik hinweg höre ich ihn schreien: »Stühhü-le! Staub-lap-pen! Lein-tüüü-cher! Bett-la-a-a-ken, eben-falls aus Lei-nen …!« Er bremst scharf ab, sobald er mich sieht: »Bist du echt, oder handelt es sich um eine Fata Morgana?«, ruft er, während seine Stimme unerschütterlich weiter aus dem Lautsprecher erschallt: »In Es-sig ein-ge-leg-tes Ge-mü-seee! O-liii-ven! Mailän-der Sa-laaa-mi! Beee-sen, die gut keh-ren! Pan-tof-feln, weicher als Ba-by-flaum!«
    Verdattert starre ich ihn in seinem Hemd mit dem bunten Affenmuster an. Er reckt das Kinn in Richtung Schalltrichter, der die Werbung hinausposaunt: »Das ist eine technische Erfindung von mir. Ich habe alles auf Band aufgenommen und mit Merola-Schnulzen unterlegt. Den Leuten auf dem Land gefällt das sehr, und ich brauch mir nicht mehr die Seele aus dem Leib zu schreien. Was verschafft mir denn die Ehre?«
    »Na ja, ich bin gerade so vorbeispaziert.«

    »Schon seit einer Ewigkeit fahre ich nun auf dieser Straße und hab dich nie gesehen … Dann haben dir

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