Ferne Verwandte
also Apache und Tarcisio erzählt, dass wir als richtige Hippies nach Christiania fahren. Und was iss mit dir? Kommst du mit oder nicht?«
»Doch, doch … mit neunzigprozentiger Sicherheit.«
»He, verdammt,’nen Monat lang wirst du sie wohl allein lassen können, die Inco. Stimmt schon, sie iss’ne tolle Biene, aber du bist wirklich übertrieben eifersüchtig.«
»Nein, nein. Du wirst schon sehen, dieses Mal komme ich mit. Ich muss dich nur um einen Gefallen bitten.«
»Für dich tu ich doch alles«, sagt er großherzig.
»Hast du noch ein bisschen von dem Acid übrig?«
»Aha, verstehe. Du möchtest psychedelischen Sex ausprobieren, du Lüstling. Tja, seit dem Mal mit dem Schweizer hat keiner mehr den Mut dazu. Von Emmental mal abgesehen - da ist wirklich zu viel speed drin. Es reicht ein Hauch, und schon bist du high.«
»Hör zu, gib mir so eine Pastille und sei ganz unbesorgt.«
»Ach, das ist dein Problem«, sagt er und nimmt eine Bäuerin ins Visier, die mit ihren gigantischen Titten auf uns zukommt. Er schiebt die Zunge in einen Mundwinkel und fügt scheinheilig hinzu: »Jetzt entschuldige mich bitte, ich habe zu tun.«
Noch am selben Nachmittag immerhin bringt er mir eine kleine Tablette, die ich in der Mitte durchteile - besser behutsam vorgehen - und beim Abendessen in Incoronatas Glas fallen lasse. Wir sind gerade in ihrem Zimmer angelangt, da seufzt sie schon: »Mir ist ein wenig seltsam …« Dann nehme ich das Bild ihres Bruders vom Nachtkästchen. »Du weißt, dass ich und Liborio nicht gerade Freunde waren, aber trotzdem fehlt er mir«, sage ich, springe plötzlich vom Bett auf und rufe: »Schau, er bewegt die Lippen … Ja, er sagt was, er will dir was sagen.«
»Armer kleiner Liborio«, antwortet sie verständnisinnig und fährt dann nachdenklich fort: »O Madonna, er spricht ja wirklich!« Sie muss schon völlig aus der Spur sein.
»Leg dein Ohr dicht dran, du weißt doch: Er hat so eine leise Stimme gehabt.« Und sobald sie das tut, flüstere ich mit der ernstesten Miene der Welt: »Bevor du Carlino heiratest, musst du ihn auf die Reise schicken, diesen Sommer noch,’s iss’n Muss« - schließlich hatte Gilera nicht einmal die fünfte Grundschulklasse absolviert. Und sie verspricht gerührt: »Ja, mein Brüderchen, wenn’s’n Muss iss.« Dann dreht sie sich zu mir, blickt mich selig an und sagt: »Jesusmaria, wie schön du bist, Carlì! Mit diesen ganzen Blumen auf’m Kopf siehst du wie’n Engel aus.«
20
Am Tag der Abreise warteten wir den ganzen Vormittag auf Rino und litten nicht nur unter der Hitze, sondern auch unter den Verhören der Landbevölkerung, deren Vertreter uns, weil wir mit dem beladenen Auto auf dem Präsentierteller standen, immer wieder fragten, wohin es denn ging. Als wir dann, nachdem wir ihn vergeblich gesucht hatten, ohne Rino losfuhren, steckten wir kaum eine Stunde später erneut fest. Der Kühler des Fiat 124 rauchte, und was der Mechaniker der nächsten Vertragswerkstatt für die Reparatur haben wollte, hätte fast unsere gesamten Reserven aufgezehrt - mit Ausnahme der Schweizer Franken von Emmental. Flehentlich blickten wir den Schweizer an, aber der schüttelte nur den Kopf: »Diese Klapperkiste ist nicht einmal neu so viel wert gewesen, verdammt noch mal.«
Wir überließen das historische Vehikel seinem Schicksal und versuchten, Autos anzuhalten, und zwar mit einem gewissen Erfolg. Fünf Stunden später befanden wir uns an der Mautstelle südlich von Rom. Das Problem war nur, dass außer uns noch mindestens hundert weitere Tramper eintrafen - per Anhalter zu reisen war offensichtlich immer noch große Mode. Entmutigt liefen wir eine lange Strecke bis zur Haltestelle eines Busses, der uns nach Rom, zur Stazione Termini, brachte. Wir würden mit dem Zug weiterfahren, natürlich ohne für die Fahrkarte zu zahlen, frei nach dem Vorbild der hobos , auch wenn wir uns, da wir weit und breit keine Güterzüge erblickten, mit ordinären Personenzügen zufriedengeben mussten. Es war trotzdem ein grauenhaftes Abenteuer.
Wir fuhren die ganze Nacht hindurch, wobei wir zwischen zwei Waggons hin- und herpendelten, um den Kontrolleuren aus dem Weg zu gehen. Wenn plötzlich einer auftauchte, flüchteten wir uns in die Aborte. Es war ein wenig beschwerlich, über die Gepäckstücke und ihre Besitzer hinwegzusteigen, die zwar mit einer gültigen Fahrkarte ausgestattet waren, sich aber trotzdem in den Gängen hatten arrangieren müssen. Zusammen mit der
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