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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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der Gurgel: »Du willst mich ruinieren, du Arschloch! Hier wimmelt es von Carabinieri, und wenn die uns erwischen, wie komme ich dann noch an mein Visum ran?«
    Rino ist der Einzige, der das Acid bereits probiert hat, und versucht uns nun zu erklären, dass es sich nur um eine optische Täuschung handelt, die das Rauschgift auf der Netzhaut erzeugt. Um uns zu beruhigen, nimmt er eines der beiden Fotos, doch angesichts des Gegrinses des ausgewählten Verstorbenen überläuft es ihn kalt. »Verdammt noch mal! Apache, wie hältst du es nur aus, diese Kretins immer vor Augen zu haben?« Also werden die Bilder umgedreht und auf den Tisch gelegt, und in diesem Augenblick befinden wir uns plötzlich mitten auf dem magischen Trip, wie man das nannte. Das LSD verleiht uns Momente unsäglicher Ekstase. Es kommt uns vor, als schwebten wir auf dem Klangteppich der Musik - der typische Effekt der Levitation, von der die Kulturen der Ekstase sprechen -, wobei sich Allmachtsgefühle mit Todesgefühlen abwechseln, wie es bereits William James, der Bruder des berühmteren Henry, des Schriftstellers, und der Vater der modernen Psychologie, in seinen Untersuchungen über veränderte Bewusstseinszustände
ausführlich dargelegt hat. Wir sind high, kurz gesagt. Oder besser gesagt: Wir wären high, wäre da nicht der Schweizer.
    Nach der Todesvision, die er hatte, ohne auch nur im Mindesten Das tibetische Totenbuch - den Katechismus der psychedelischen Kirche - zu kennen, befindet auch er sich voll in mystischer Trance. Irgendwann tiriliert er: »Ich komm mir vor wie’n Vögelchen«, und flattert im Zimmer herum, das sich schlagartig mit anderem schnatternden Federvieh füllt - dem Rest der Kompanie. In diesem Moment legt der Schweizer auch schon wieder mit seiner Paranoia los. »Pssst! Verdammt! Nicht lachen. Die Caramba sind da!« Tatsächlich wirken die mit kastanienfarbenen Papp-Achtecken beklebten Wände jetzt so dünn wie Zeltbahnen, und es kommt uns vor, als sähen wir die Caramba dahinter hervoräugen und hörten ihre Stimmen sagen: ›Die haben sich aber zugedröhnt!‹ Der Schweizer dreht die Musik ab und fordert absolute Stille. Und wieder einmal ist es Rino, der für Beruhigung sorgt. »Vergiss nicht, dass wir die Richtung der Reise bestimmen«, sagt er in prophetischem Tonfall zum Schweizer, und merkwürdigerweise scheint der sich tatsächlich zu beruhigen, obwohl er offensichtlich nicht das Geringste verstanden hat. Keiner hat es kapiert, ehrlich gesagt, aber wir sind nun mit dem Anblick beschäftigt, der sich uns plötzlich bietet, denn überall im Zimmer blühen Blumen auf. Sie haben dieselben schwellenden Formen und dieselben Pastellfarben wie jene, die wir tausendmal auf den Hüllen unserer Lieblingsplatten gesehen haben -, und es dämmert uns, wo das Phänomen der Flower Power seinen Ursprung haben mag. Noch im elendigsten Ort der Welt gibt es also einen Garten Eden, der sich nun vor unseren erstaunten Augen belebt. Nach ein paar Minuten, Stunden oder Äonen - wer kann das schon sagen? - kommt es zu gravierenden Komplikationen. Tarcisio steht auf und geht zur Tür. Der Schweizer fällt über ihn her. »Was willst du, du Idiot?«, brüllt er ihn an.
    »Pissen.« Der springende Punkt ist, dass er sich zu diesem Behufe jener Toilette bedienen müsste, die mit der Polente geteilt wird. »Schlag dir das aus dem Kopf, zugedröhnt, wie du bist. Wenn dich
ein Caramba sieht, landen wir alle im Knast, und ich bin erledigt.« Er zieht den Türschlüssel ab und steckt ihn in seine Tasche, und eine Zeit lang delektieren wir uns an dem Duett, weil wir glauben, dass der Schweizer im Grunde nur Spaß macht. Aber er macht keinen Spaß.
    Tarcisio schreit: »Sperr auf, verdammt, mir platzt die Blase.«
    »Leck mich.«
    »Pass auf, dass ich nicht auf den Boden pinkle. Ich halt’s nicht mehr aus.«
    »Hier geht keiner raus, bevor dieser ganze Drogenscheiß vorbei ist.«
    Tarcisio macht seine Ankündigung schließlich wahr. Er stellt sich an die Wand und pisst dagegen. Ewig dauert das, endlos, ein Schwall, ein Meer, ein Ozean von Pisse. Apache, der gerade noch gelacht hat, lacht jetzt nicht mehr. Stocksauer steht er auf: »Was fällt dir ein? Du pisst mir das Zimmer voll, du Pisser.«
    »Der da hat mich nicht rausgelassen!«
    »Immer mit der Ruhe«, sagt Rino abgeklärt. »Wo ist das Problem? Nachher wischen wir einmal durch.«
    »Was heißt hier Ruhe? Scheißruhe! Was stellst du dir vor? Da pinkelt mir einer die Bude voll … Wir sind

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