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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Dunkel des Flurs ein schweres Tapsen und ein wildes Knurren höre, worauf mich auch schon zwei schmutzige, geifernde Bestien anspringen, meine Handgelenke umklammern und mich zu Boden werfen - eine wahre Teufelsbrut. Tatsache ist, dass ich kein gewöhnliches Haus betreten habe, sondern ein düsteres Schloss. Eine ganze Abfolge von Generationen eines nicht gerade vertrauenerweckenden Geschlechts - pfählende Ritter, wahnsinnige Kardinäle, blutjunge Selbstmörder und mannstolle Schlossherrinnen, die im Zuge teilnehmerstarker Orgien ermordet wurden - hat in diesen Gemäuern gelebt, um welche sich seltsame Legenden über Gespenster
und Verwünschungen ranken. So dauert es ein wenig, bis mir klar wird - ich bin ja auch noch von der Sonne geblendet -, dass es sich bei den beiden Wesen, die mir ihre Zähne in die Handgelenke schlagen, nicht um wild gewordene Gespenster oder ruhelose Seelen unbeerdigter Toter oder Lemuren verruchter Renegaten handelt, die sich infolge der Folterungen, denen sie einige Jahrhunderte zuvor hier unterzogen wurden, verwandelt haben, um sich nun an meiner Wenigkeit zu rächen. Selbst als ich die beiden Bluthunde, die sich in der Zwischenzeit links und rechts von mir niedergelassen haben, endlich sehen kann, stoße ich keinen Seufzer der Erleichterung aus. Zum Glück aber ertönt nun eine silberhelle Stimme: »Castor, Pollux … Warum seid ihr beiden nur immer so verspielt? Meine lieben Wauwauchen, lasst doch Carlino in Ruhe.«
    Die Besitzerin der Stimme und besagter Köter leuchtet dank eines ihrer pastellfarbenen Kleider, für die sie im Dorf berühmt ist, im Dämmerlicht. Wie das Hologramm einer dicken, tapsigen Schicksalsgöttin wirkt sie, doch es handelt sich um Donna Edgarda, die Gemahlin des Professors und Nachkommin der Olivares Salina, denen der Bau dieses Schlosses zu verdanken ist. Außerdem ist sie Vorsitzende der Kongregation der Wohltätigen Damen der heiligen Barbara. Sie ist so oft in unserem Haus gewesen, dass sie mich wie meine Angehörigen Carlino nennt. Ich atme ihren Konfektduft ein, als sie jetzt dicht an mir vorbeigeht und in die Handschuhe schlüpft, die genauso himmelblau sind wie ihre Schuhe. Sie rückt ihr Hütchen mit dem kleinen Schleier zurecht, und bevor sie von dem Lichtschein draußen aufgesogen wird, sagt sie sanft: »Aber warum liegst du denn noch immer auf dem Boden, Carlino? Geh, der Professor erwartet dich. Er ist im Studierzimmer. Nach dem letzten Zimmer nimm die Treppe am Ende der Loggia, die nach unten führt.«
    Leichter gesagt, als getan, denn die beiden Bestien lassen mich nicht los. Ich versuche mich zu erheben, indem ich mich auf ihre sabbernden Schnauzen stütze. Keine Chance - sie halten mich nur noch fester umklammert. Da kommt mir eine Idee: Ich blase ihnen
ins Ohr, erst dem einen, dann dem anderen, wie man es eben mit Hunden macht, damit sie einen loslassen, und endlich bin ich frei - allerdings nur bedingt, denn sie eskortieren mich wie zwei Sekundanten einen Verurteilten. Zunächst geht es durch eine Flucht miteinander verbundener Säle, dann erreichen wir die Loggia, schließlich eine Freitreppe und unten eine kleine Tür. Ich klopfe, und jemand sagt: »Herein!«
    Das Einzige, was ich erkenne, ist die Flamme eines roten Keramikofens, aber sie verströmt ein so schwaches Licht, dass ich ein Weilchen brauche, bis ich mich an die Dunkelheit gewöhne. Es riecht sehr würzig, und ich höre die Stimme des Professors von irgendwoher sagen: »Ich beglückwünsche dich zu deiner Pünktlichkeit, das ist nämlich die erste Regel. Jetzt nimm die Kanne von dem Ofen da. Aber pass bitte auf! Sie ist kochend heiß. Gieß den Inhalt in diesen Behälter da und bring ihn mir.«
    Angespornt von dem Kompliment und immer verfolgt von den Bluthunden, gelange ich zum Ofen. Ich schütte die Flüssigkeit aus der Kanne in das Gefäß, in dem eine Stoffbrille liegt - von dort kommt auch der Geruch nach Gewürzen, der mir in die Nase steigt und mich zum Niesen reizt -, und durchquere den riesigen Raum. Erst jetzt erkenne ich, dass ich mich unter der Wölbung einer Art Höhle befinde. An den Wänden aus unbehauenem Stein hängen Ringe und Ketten jeglicher Größe. »Das war die Folterkammer«, sagt der Professor, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich habe sie aus metaphorischen Gründen gewählt: Selbst für den passioniertesten Forscher ist das Studium stets eine Folter, wenngleich eine milde.«
    An dem einen Ende des Saals steht ein riesiger massiver Schreibtisch

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