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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Stammessitte, die mit dem Tag der Heirat eine strikte Trennung von Männern und Frauen in zwei gesellschaftliche Sphären vorschrieb, auf so unzulässige Weise missachteten.
    Ich aber sah mir ihre Töchter an - merkwürdigerweise hatten die Emigranten nur Kinder weiblichen Geschlechts. Mit klopfendem Herzen wartete ich, dass sie zu zweit, zu dritt oder zu viert untergehakt um die Piazza herumspazierten und mit ihrem leichten Schritt wieder an mir vorbeikamen. Dann genügte es mir, einen Blick aufzufangen,
ein Lächeln - hatten sie wirklich mich angesehen, wirklich mich angelächelt? -, um von einem Gefühl entflammt zu werden, das mich aus den Socken hob und sich vollkommen von dem unterschied, das ich in den Armen meiner Cousine Tea empfunden hatte, oder damals, als ich stundenlang auf die Titten von Onkel Arcangelos Negerinnen oder die aus der Enzyklopädie Labor gestarrt hatte. Es war ein vollkommen reines Gefühl und vermochte mich in jene hochgeistigen Sphären zu katapultieren, die mir über die Kunst oder die einfache Betrachtung der Natur schon nicht mehr zugänglich waren. Mir war jetzt klar, dass ich, genau wie mein Vater und mein Großvater, die Frauen über alles liebte. Sie waren die wahren Weltwunder, aber im Gegensatz zu meinen beiden Vorfahren hatte ich Angst vor ihnen. Ich hatte Pits Lehren im Hinterkopf, wenn ich die Vormittage damit verbrachte, die verschiedensten Taktiken des Anbändelns zu analysieren - ganze Vorräte von geeigneten Sätzen speicherte ich in meinem Gedächtnis und studierte bis ins kleinste Detail Posituren und Kleidung -, nur dass ich mich im passenden Augenblick nie hervorwagte, so sehr hatten mich die Jahre mit Nonnilde und dem Professor zurückgeworfen! Die Situation verschlimmerte sich noch, als mich ein Grüppchen Turist -Mädchen ansprach und ich, Pits Lehren entsprechend, unterkühlt reagierte - tatsächlich hätte ich vor Aufregung ohnehin kein Wort herausgebracht. Damit hatte ich mir nun ihr vollkommenes und unwiderufliches Desinteresse eingehandelt. Was hatte ich nur falsch gemacht?, fragte ich mich, während die Sonnenbräune sie jeden Tag schöner, snobistischer und selbstbewusster machte - auch wenn sie gerade vom nächstgelegenen freien Strand zurückkamen, wo sie sich nach dem Baden den Bauch mit überbackener Pasta oder Lammfleisch vollgeschlagen und Riesenflaschen Idrolitina-Brause hinuntergestürzt hatten. Wenigstens hatten sie den hiesigen säuerlichen Wein verschmäht.
    Traurig sah ich zu, wie sie zu ihren Ciaoné -Vätern und -Müttern liefen, die sich zum Abendspaziergang wiedervereint hatten und sie so begrüßten wie kleine Prinzessinnen ihre königlichen Eltern.

    Ich spürte, wie sich mein Herz vor Eifersucht zusammenkrampfte, wenn ich gleich darauf ausgerechnet jene, in die ich mich verliebt hatte - jeden Abend verliebte ich mich in eine andere -, Hand in Hand mit einem Burschen, der oftmals jünger war als ich, in Richtung Park entschwinden sah, der neben dem Kloster lag und das Ziel aller Pärchen war.
    Im darauffolgenden Winter sollten die glücklichen Auserwählten in allen Einzelheiten von den völlig unwahrscheinlichen Entjungferungen erzählen, die dort stattgefunden haben sollen - und just in diesen Augenblicken erklangen dann immer die melancholischen Melodien jenes Schlagers, für den im Sommer die meisten Münzen in den Jukeboxes gelandet waren: Lieder über unglückliche Liebschaften, über Treubrüche beim Tanzen oder am Strand oder mitten im raschelnden Röhricht - und noch heute, wenn ich zufällig eines dieser Lieder höre, ergreift mich eine Traurigkeit, als wäre seither kein einziger Tag vergangen.
    An vielen Nachmittagen kehrte ich zur Piazza zurück, jedes Mal mit dem festen Vorsatz, dass es dieses Mal klappen muss, aber es gelang mir nie, ein Turist -Mädchen anzusprechen, ihre Hand zu nehmen und sie in den Park neben dem Kloster zu führen. Und als dann Lucio, einer meiner ehemaligen Ministrantenkollegen, an mir vorbeilief und rief: »Los, komm mit! Wir brauchen einen Verteidiger«, folgte ich ihm gern. Ich ertrug es nicht mehr, allein zu sein, mich anders zu fühlen als die anderen Jungs - und wenn ich es mir recht überlegte, so hatte ich seit Jahren nicht mehr Fußball gespielt. Doch kaum war ich auf dem Spielfeld, fühlte ich mich schon wieder anders, aber aus einem anderen und triftigeren Grund.

11
    Um die Tragweite dessen zu ermessen, was mir jetzt widerfuhr, muss man der Liste jener Merkmale, über die jedes Nest im

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