Fesseln der Erinnerung
würde niemals heilen.
Sie streichelte zärtlich seine Wange, hatte verstanden, was er nicht ausgesprochen hatte, wusste, um welche Verletzung es ging. „River könnte vor zwei Jahren noch am Leben gewesen sein.“
Sein Herz setzte aus. Dann bemerkte er, dass er den Kopf schüttelte und sich an sie klammerte – seit er im Polizeidienst war, hatte er nach River gesucht, hatte alle bekannten Datenbanken durchkämmt und nichts gefunden. „Warum sollte etwas über ihn im Medialnet zu finden sein?“
„Er ist einem Menschen über den Weg gelaufen, der im Rahmen einer Studie über Personen forschte, die als Kinder drogenabhängig waren.“ Sanfte Worte und ein besorgter Blick. „Die Arbeit wurde in der Fußnote eines Medialenberichts über die Abhängigkeit von Jax erwähnt – und es gab einen Link.“
„Wo – ?“, fragte er, doch Sophia war schon unterwegs, um ein Blatt vom Tisch neben dem schnurrenden Morpheus zu holen. Er nahm den Ausdruck in die Hand und sah sich an, was sie unterstrichen hatte.
Schwarz auf weiß stand da Rivers Name. Und es wurde erwähnt, dass er sich mit vierzehn freiwillig dem Entzugsprogramm einer karitativen Organisation angeschlossen hatte und seitdem drogenfrei lebte.
„Max.“ Sophia schloss ihre Finger um sein Handgelenk.
Erst da fiel ihm auf, dass seine Hand zitterte. „Hier stehen nur Vornamen – es könnte sich um jemand anderen handeln.“
„Der Name ist ungewöhnlich, und wenn man sein Alter zur Zeit der Untersuchung und die Drogenabhängigkeit in Betracht zieht … “
In seinem Kopf drehte sich alles. Als er aufsah, hielt sie einen Zettel in der Hand. „Was ist das?“
„Die Telefonnummer des Wissenschaftlers, der die Untersuchung durchgeführt hat. Zurzeit lehrt er an der University of the South Pacific und lebt in Vanuatu.“ Hoffnung und Schmerz schienen in ihren Augen auf. „Demnächst wird er wohl wieder in seinem Büro sein, du könntest ihn anrufen und dich erkundigen, ob es sich wirklich um deinen Bruder handelt.“
Er streckte die Arme aus und zog sie an sich, drückte sich an ihren weichen Körper und barg sein Gesicht in ihrem Haar. „Du hast keine Ahnung, was mir das bedeutet.“
Ihre Finger bohrten sich in seinen Rücken, das sagte mehr als alle Worte.
„Doch, du weißt es“, flüsterte er in ihr Ohr, ihr Duft war Balsam für sein Herz. „Du weißt es ganz genau.“
„Eine Familie, Max. Du wirst wieder eine Familie haben.“ Voller Hoffnung. „Du wirst nicht allein sein.“ Wenn ich fort bin.
Max griff ihr ins Haar und zog ihren Kopf nach hinten, um ihr in die Augen zu sehen, ihren Lippen ganz nah zu sein. „Wir“, sagte er. „Wir werden eine Familie haben.“
Ihre Augen leuchteten auf, sprühten vor Glück. „Max.“ Als sie ihn auf die Wange küsste, klingelte sein Handy.
Bart war dran. „Bonner ist geflohen.“
„Wie konnte das bloß passieren?“ Sophia starrte Max an, der das Handy zuschob und ihr erzählte, was geschehen war. Das Gefängnis lag unter der Erde, alle Zugänge waren gesichert. Selbst die Notausgänge verfügten über Sensoren, die Alarm auslösten, sobald etwas Größeres als eine Feldmaus darüberhuschte.
Max hatte kalte Wut erfasst. „Er hatte einen ‚Unfall ‘ und ist auf die Krankenstation gebracht worden. Scheint, als hätte er die Ärztin schon seit Monaten bearbeitet. Muss sie davon überzeugt haben, dass er unschuldig ist.“
Alles in Sophia wehrte sich gegen die Vorstellung, der schrecklich gerissene Bonner könne wieder frei herumlaufen. „Selbst dann hätte sie doch nicht die notwendigen Befugnisse dazu gehabt, ihn aus dem Gefängnis hinauszuschaffen.“
„Aber sie hatte Zugang zu Betäubungsmitteln – sie hat den Wärter ausgeschaltet und dann den Generalschlüssel aus seinem Büro geholt.“ Max biss die Zähne so fest aufeinander, dass er hörte, wie die Knochen knirschten. „Sie suchen bereits nach ihm und sind fast sicher, dass er mit dem Wagen der Ärztin unterwegs ist.“
Sophia setzte sich auf die Armlehne der Couch, ihre Finger krallten sich in den Stoff. „Und die Ärztin?“
„Wenn sie Glück hat“, sagte Max tonlos, „ist sie bereits tot. Wenn nicht … “ Sophia wusste sicher besser als sonst irgendjemand, wozu Bonner fähig war, welche Schmerzen der Lohn der Ärztin sein würden, weil sie so dumm gewesen war, einem Psychopathen zu vertrauen.
Sophia nickte. „Musst du dich der Suchmannschaft anschließen?“
„Ich kann sie von hier aus unterstützen.“ Bonner
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