Fesseln der Erinnerung
Der Alarm ging in dem Moment los, als der Mediale der Länge nach hinstürzte und sich in so heftigen Krämpfen wand, dass sein Kopf immer und immer wieder auf den Betonboden schlug.
Max war schon beim ersten Schrei losgerannt, um den Wärter mit dem Schlüssel zu holen, Sophia kniete voller Mitleid an den Gitterstäben. Das Gesicht des verhinderten Attentäters war verzerrt, Blut schoss aus seinen Ohren, und Sophia sah die Angst in seinen Augen. Sie streckte eine Hand durch die Gitterstäbe und griff nach den flehend ausgestreckten Fingern. „Halten Sie durch, Hilfe ist unterwegs.“
Seine Hand verkrampfte sich und zog an ihrem Handschuh.
Ein Finger legte sich auf ihr bloßes Handgelenk.
Schreie, Bilder und Gedanken, die Vergangenheit eines sich in Todesqualen Windenden.
Jemand – Max – zog ihre Hand zurück. „Sophia!“
Sie blinzelte, versuchte verzweifelt, die Übelkeit zurückzuhalten. „Helft ihm doch.“ Heiser, ihre Kehle war ganz rau.
Max schüttelte mit ernstem Gesicht den Kopf. „Zu spät.“
Sie folgte seinem Blick, ein Polizist stand neben dem Gefangenen und hatte den Kopf gesenkt. Die Augen des Medialen starrten mit leerem Blick an die Decke.
Nikita beteuerte, den Mann nicht getötet zu haben. „Er wurde ausgelöscht, damit ich nicht erfahre, was er wusste“, sagte sie, als Max und Sophie bei ihr waren. „Wenn ich ihm seine Geheimnisse entrissen hätte, würde ich Sie beide nicht mehr brauchen – und das würde ich Ihnen auch sagen.“
Sophia beobachtete, wie Max dem kalten Blick standhielt. „Das glaube ich Ihnen aufs Wort.“
„Es wäre nicht geschehen, wenn Sie mich gleich informiert hätten.“
Das stimmte. Sie hätte sich selbst ans Werk gemacht.
Hatte sie aber nicht.
Und Sophia war zu betäubt, um sich noch weitere Gedanken zu machen. Sie fühlte sich völlig zerschlagen, als sie vor ihren Wohnungen standen. Wehrte sich nicht dagegen, dass Max sie mit in die seine nahm. „Geh unter die Dusche“, sagte er mit sanftem Nachdruck und drängte sie in Richtung Schlafzimmer, hinter dem sich das Bad befand. „Ich mache dir etwas zu essen.“
Ihre Unterlippe zitterte, sie sah ihn verständnislos an, so etwas hatte sie noch nie erlebt.
„Nun komm schon, mein Schatz.“ Sanft führte er sie weiter. Er hatte dabei die Hände auf ihre Schultern gelegt, achtete aber sorgfältig darauf, ihre bloße Haut nicht zu berühren.
Er sorgte für sie, dachte sie, in ihrem Schockzustand besaß sie keine Verteidigungsmechanismen mehr. „Noch nie zuvor hat jemand für mich gesorgt.“ Schon bevor ihre Eltern sich von ihr abgewandt hatten, hatten sie nur das Nötigste für sie getan.
Max stand bewegungslos hinter ihr. Dann beugte er sich so nah zu ihr hinunter, dass sie seinen Atem spürte. „Ach, wirklich?“ Er lächelte. „Da habe ich ja Glück gehabt.“ Mit diesen Worten trat er vor sie und löste sanft ihre überkreuzten Arme. Dann zog er ihr das Jackett aus. „Baby, wenn ich jetzt weitermache, kann ich für nichts mehr garantieren.“
Etwas in ihr erwachte zum Leben, angeregt von der Vorstellung, Max könnte sie nackt sehen. „Das ist schon in Ordnung.“
Max entfernte sich und holte etwas aus dem Schrank. „Das kannst du danach überziehen.“
Eines seiner Hemden. Sie hätte ihn auch bitten können, ihr etwas Eigenes aus ihrer Wohnung zu holen, aber sie griff nach dem Hemd, nach seinem Geruch, mit beiden Händen. „Danke.“
„Im Bad gibt es ein zweites Handtuch. Mach die Tür nicht zu“, sagte er. „Ich bin im Wohnzimmer – und möchte hören, wenn du rufst.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und ins Bad zu gehen. Durch die offene Tür hörte sie, wie sich Max im Schlafzimmer umzog. Als sie sich ausgezogen hatte und unter der Dusche stand, fühlte sie sich schon nicht mehr wie kurz vor dem Zusammenbruch. Doch sie war zerbrechlicher geworden, ihre inneren Schilde hatten einen weiteren Riss bekommen.
Ich darf nicht zusammenbrechen, dachte sie zornig und trotzig, noch nicht, ich habe ja noch nicht einmal richtig gelebt.
Sie stellte die Dusche erst ab, als ihre Haut ganz rosig war, dann trocknete sie sich ab, nahm das Hemd von Max und vergrub ihr Gesicht darin. Es war frisch gewaschen, und dennoch konnte sie seinen ganz eigenen Geruch noch schwach wahrnehmen.
Sie zog das Hemd über, es reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel. Der weiße Stoff war dick genug, dass sie sich wegen der fehlenden Unterwäsche
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