Fesseln der Leidenschaft
herauf«, sagte Ranulf in einem Ton, der so unheildrohend war wie die Worte. »Denn ich warne Sie nur dieses eine Mal. Kehren Sie heim und vergessen Sie Clydon, oder ich vergesse, wie alt Sie sind, und töte Sie persönlich.«
Er wartete keine Antwort ab, wendete sein Pferd und ritt davon. Aber er hatte die Furcht in den alten Augen gesehen. Rothwell würde sich eine andere Braut suchen.
43
Reina war im vierten Monat schwanger. Lange Zeit versuchte sie, es vor sich selbst zu leugnen. Sie fand eine Ausrede nach der anderen, um sich zu überzeugen, daß das nicht sein konnte. Aber als ihre Taille an Umfang zunahm und ihr Appetit sich nicht verringerte, mußte sie ihren Zustand akzeptieren. An diesem Tag war sie unausstehlich, für alle und jeden eine Nervensäge. Ihr ungezügeltes Temperament hatte sich in der Zwischenzeit auch nicht sehr verändert. Glücklicherweise war Ranulf zu der Zeit viel unterwegs und versäumte ihre schlimmsten Tage, an denen sie von widerstreitenden Gefühlen heimgesucht wurde, so daß sie bei der kleinsten Herausforderung entweder tobte oder in Tränen ausbrach.
Man hatte ihr wieder und wieder erzählt, daß das vorübergehen würde, daß die Veränderungen in ihrem Körper sie so sensibel machten. Jede der älteren Damen hatte ihr das versichert. Sie wußten alle von dem Kind. Jeder wußte von dem Kind – der Vater des Babys ausgenommen. Aber keiner ahnte, was Reina wirklich bekümmerte. Es war etwas, über das sie nicht sprechen mochte, nicht einmal mit Theo.
Der Schafskopf war so entzückt über das Baby, als würde er es selbst im Bauch tragen. Nicht, daß Reina gleichgültig gewesen wäre. Sie wünschte sich dieses Kind, mehr als alles in der Welt. Sie liebte es bereits, stellte es sich vor, wie es sein würde – ein Leben zum Festhalten, zum Beschützen … zum Verwöhnen. Ihr kleiner Riese, genau wie Ranulf, aber anders als Ranulf, weil der Kleine sie brauchte.
Oh, lieber Himmel, da waren schon wieder diese verfluchten Tränen. Reina wischte sie ärgerlich weg und verließ das Brauhaus, diesen unpassenden Ort, an dem Lady Ella fünf Junge geworfen hatte. Sie war eine Woche lang verschwunden gewesen und hatte eine schloßweite Suche sowie Panik bei Reina verursacht, die das Vieh finden wollte, ehe Ranulf zurückkehrte. Er war über die Trächtigkeit der Katze so entzückt und gleichzeitig ängstlich gewesen, daß Reina ihm beinahe von ihrer Schwangerschaft erzählt hätte, aber sie konnte es nicht über sich bringen. Nun hatte sie so lange gewartet, daß sie es ihm nicht mehr zu beichten brauchte. Während seiner dreiwöchigen Abwesenheit hatte ihr Körper sich verändert. Ranulf würde Bescheid wissen, sobald er sie sah, oder spätestens, wenn er mit ihr schlief. Gott, welche Angst sie davor hatte!
Die vergangenen Monate waren idyllisch und ereignislos verlaufen. Seit dem Besuch seines Vaters hatte Reina keine Probleme mehr mit Ranulf gehabt. Hugh hatte einen neuen Verwalter nach Warhurst gesandt, der die üblen Zustände bereinigen mußte, die Richard hinterlassen hatte, und dem es oblag, die Menschen zu entschädigen, die Unrecht erlitten hatten. Ranulfs Gefangene waren dem neuen Mann überstellt worden, um diesmal gerechte Gerichtsverfahren zu bekommen, und fast alle Männer wurden von jeglicher Schuld freigesprochen. Ranulf selbst betätigte sich überall eifrig, deshalb hatte er auch Reinas uncharakteristische Stimmungsschwankungen nicht miterlebt. Er hatte alle Güter besucht, die zu Clydon gehörten. Jedesmal war er ein paar Tage oder eine Woche weggewesen, für kurze Zeit zurückgekommen und dann wieder abgereist. Am Anfang hatte Reina ihn begleitet, bis das Reiten ihr leichte Übelkeit verursachte, dann hatte sie Ausreden gefunden, um in Clydon zu bleiben.
Diese letzte und längste Abwesenheit Ranulfs war eine Reise nach London, zu der sein Vater ihn eingeladen hatte. Es ging den Herren gut, wie ein Brief besagte. Zum erstenmal hatte Reina Korrespondenz von ihrem Mann in Händen, aber eine völlig unpersönliche. Der Brief war von Walter geschrieben worden, der sich Ranulf zugesellt hatte. Ranulf selbst konnte weder schreiben noch lesen. Deshalb fehlte Reinas Antwort ebenfalls die Intimität. Sie hatte schon beschlossen, dem Analphabetentum ihres Mannes abzuhelfen, doch Ranulf würde sich vermutlich dagegen wehren, etwas lernen zu müssen, was auch ein Schreiber für ihn erledigen konnte.
Nichts von alledem spielte eine Rolle in Anbetracht dessen, was geschehen
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