Fesseln der Nacht - Feehan, C: Fesseln der Nacht - Predatory Game
des Verrats, und ihr war vollkommen egal, wenn er wusste, wie ihr zumute war. Sie war viel zu lange hiergeblieben und hatte zu viel riskiert. Dafür soll dich der Teufel holen.
Saber wich ihm aus, als er instinktiv auf sie zukam, und presste sich den Handrücken auf den Mund. Sie fühlte sich verraten, restlos verraten. Falls es ihr überhaupt möglich war, Jesse zu hassen, tat sie es jetzt, in diesem Augenblick.
»Saber.« Seine Stimme klang gequält.
Sie wirbelte herum und rannte die Treppe hinauf. Zum ersten Mal seit Jahren machte es ihr nichts aus, dass kein Licht brannte; sie merkte es nicht einmal. Sie begab sich auf direktem Wege in ihr Schlafzimmer. Ihre Brust brannte, sie rang um Luft, und ihr Herz pochte heftig. Ihre Schuhe schleuderte sie einen nach dem anderen an die Wand, und dann warf sie sich bäuchlings auf das Bett. Wenn das normal war, war normal beschissen. Von normal wollte sie nichts mehr wissen. Sie wollte verschwinden, Saber Wynter sterben lassen und an ihre Stelle eine andere Person treten lassen, jemanden, dem nicht so zumute war, jemanden, der zu solchen Gefühlen gar nicht fähig war.
Jesse ballte eine Hand zur Faust und wollte etwas zertrümmern. Er verspürte das dringende Bedürfnis, etwas kurz und klein zu schlagen. In zehn Monaten war Saber
nicht ein einziges Mal früher von der Arbeit nach Hause gekommen. Der Wachmann hätte ihn anrufen sollen, verflucht nochmal. Brian hätte ihn anrufen sollen. Warum war sie überhaupt nach Hause gekommen? Und was zum Teufel war los mit ihr? Da stimmte doch etwas nicht. Sie hatte nicht gewusst, dass er es war, der ihr die Waffe an den Hals hielt, denn er hatte die Gerüche und Geräusche im Raum unterdrückt, und sie hatte gekämpft wie eine Wildkatze und war sogar so weit gegangen, ihn anzuschreien, er solle sie erschießen.
Augenblicklich wurde es ihm klar. Sie hatte ihn für jemand anderen gehalten. Er zuckte zusammen, als er hörte, wie ihre Schuhe an die Wand knallten. Wer war dieser andere? Wen hatte sie erwartet? Er ging auf das abgedunkelte Wohnzimmer zu.
Ein leiser, gedämpfter Laut ließ ihn stehen bleiben. Saber weinte. Es war ein ersticktes Geräusch, das ihm das Herz aus der Brust riss. Der Teufel sollte die Schattengänger und die allzu notwendigen Sicherheitsvorkehrungen holen. Der Teufel sollte den Wachmann und Brian holen, weil sie ihm keine Warnung hatten zukommen lassen.
»Ich gehe jetzt besser.« Sein Gast trat aus den Schatten heraus.
»Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten«, zwang Jesse sich zu sagen. Sie konnte er nun wirklich nicht zur Hölle schicken. Louise Charter, die Sekretärin des Admirals, hatte ihr Leben riskiert, um ihm ein kleines digitales Aufnahmegerät persönlich zu überbringen, doch in diesem Moment konnte er sich auf nichts anderes konzentrieren und interessierte sich auch für nichts anderes als die leisen Klänge des Elends, die aus dem Schlafzimmer im oberen Stockwerk drangen.
Saber weinte nie in seinem Beisein. Nicht einmal, wenn sie verletzt war. Es konnte vorkommen, dass einen Moment lang Tränen in ihren Augen glitzerten, doch in diesen zehn langen Monaten hatte Saber Wynter nie geweint.
Jesse wusste, dass es an grobe Unhöflichkeit grenzte, als er Louise mit ungebührlicher Hast aus dem Haus komplimentierte. Sowie sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wartete er ungeduldig auf den Lift. Er schien endlos zu brauchen. Jesse verspürte das rasende Verlangen, einen Versuch zu unternehmen, mit seinem Rollstuhl die Treppe hinaufzuhüpfen, wobei er ständig auf zwei Rädern balancieren würde.
Warum war sie nach Hause gekommen? Er erinnerte sich wieder daran, dass ihre seidenweiche Haut unter seiner Hand geglüht hatte. Natürlich. Sie war krank. Es konnte keinen anderen Grund dafür geben, dass die gewissenhafte kleine Saber ihren Arbeitsplatz während der Arbeitszeit verließ. Er blockte die Erinnerung an den kalten Stahl in ihren Augen ab, als sie sich zu ihm umgedreht hatte, an die Leichtigkeit, mit der sich ihr Körper herumgewälzt und sie die Hände zu einer klassischen Verteidigungshaltung erhoben hatte. Was zählte, war nur der Schmerz – ihr Gefühl, verraten worden zu sein. Er hatte es in ihren Augen gesehen und es in ihrer Stimme gehört. Ihre Stimme war mit solcher Leichtigkeit in sein Bewusstsein geglitten, mit großer Klarheit und voller Schmerz.
Der Aufzug brachte ihn ins obere Stockwerk, und sein Rennrollstuhl glitt lautlos durch das Wohnzimmer zu ihrem
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