Fesseln der Sehnsucht
sagte Heath schließlich schneidend. »Ich belästige dich nicht wieder. Wenn dir danach ist, wenn du bereit bist bei Vollmond oder worauf zum Teufel du wartest, dann lass es mich wissen.« Er durchquerte das Zimmer. An der Tür setzte er mit einem Blick über die Schulter hinzu: »Und dann werde ich es mir vielleicht überlegen.« Lucy hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft.
Aber wenn er glaubte, sie würde den ersten Schritt tun, nach allem, was er ihr an den Kopf geworfen hatte, konnte er lange warten!
Der Frühling zog spät und zögernd ins Land. Kaum durfte man damit rechnen, dass kein Nachtfrost mehr drohte, dass morgens nicht wieder eine dünne Schneedecke die ersten schüchternen Pflanzenkeime bedeckte, wurde es sehr warm und nach wenigen Wochen stand die Natur in üppigem Grün und in voller Blüte. Ein heißer Sommer hielt Einzug. Ausflüge an die Strände von Cape Cod lockten, wo man durchs kalte Wasser watete und Muscheln sammelte. Lucy stand sinnend am Fenster und stellte sich Heath am Strand vor. Das Blau seiner Augen würde mit dem Blau des Ozeans wetteifern. Im Sommer wollte sie ihn aus der Redaktion fortlocken und mit ihm ein paar Tage in Cape Cod Ferien machen, schließlich galt es, ihre Hochzeitsreise nachzuholen. Lächelnd und erfreut, wieder Zukunftspläne schmieden zu können, wandte sie sich der Tür zu, als sie Raines leichten Schritt auf dem Parkett hörte.
»Ich hoffe, Sie frühstücken, bevor Sie abreisen«, sagte Lucy, der es nun nicht mehr schwer fiel, freundlich zu Raine zu sein, da sie wusste, dass die Rivalin in einer halben Stunde für immer aus ihrem Leben verschwunden sein würde.
»Vielleicht eine Tasse Kaffee«, meinte Raine und nahm anmutig am Frühstückstisch Platz. »Ich reise nicht gern mit vollem Magen.«
»Sie haben eine lange Reise vor sich.«
Raine betrachtete Lucy schweigend unter dem dunklen Vorhang ihrer langen Wimpern.
»Heath bedauert sicher«, fuhr Lucy im Plauderton fort, während sie Kaffee aus der Silberkanne in eine Tasse goss, »dass er sich nicht von Ihnen verabschieden konnte. Er musste zeitig aus dem Haus, weil er einiges aufzuarbeiten hat, da er Amy gestern ins Pensionat gebracht hat.«
»Ich wusste, dass er heute früh ins Büro muss. Wir haben uns bereits gestern voneinander verabschiedet.« Raine sprach, als sei es ein langer, inniger Abschied gewesen. Irritiert ermahnte Lucy sich erneut, Ruhe zu bewahren.
Bald, sehr bald würde sie Raine endgültig los sein. Waren die Zeiger der Kaminuhr stehen geblieben? Nein, lähmend langsam rückten sie vor.
»Wir beide wünschen Ihnen Glück in England.«
»Auch ich wünsche Ihnen Glück«, versicherte Raine und ihre kühlen grauen Augen schimmerten geheimnisvoll, als sie die Tasse entgegennahm, die Lucy ihr reichte. »Ich habe Sie gern, Lucinda. Vielleicht fällt es Ihnen schwer, mir zu glauben, aber ich sage die Wahrheit. Man muss Sie einfach gern haben. Bevor ich Sie kennen lernte, dachte ich, Sie müssten unglaublich raffiniert sein, Heath an Land gezogen zu haben. Ich habe mich geirrt. Heath hat Sie geheiratet, weil Sie eine liebenswürdige Person sind mit einem entzückenden Lächeln … der einzige herzliche Mensch, den er in einem kalten Land mit kalten Menschen getroffen hat. Sie haben ihn zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort kennen gelernt. Ein Glückstreffer für Sie. Dennoch tun Sie mir Leid. Ihr seid ein ungleiches Paar und daran wird sich nie etwas ändern.«
»Heath hat mich geheiratet, weil ich ihn glücklich mache. Daran wird sich nichts ändern.«
»Die Zeit wird beweisen, ob ich Recht oder Unrecht habe.«
»Sie haben Unrecht.«
»Mag sein.« Raine erhob sich, ohne den Kaffee angerührt zu haben. »Wie dem auch sei, ich wünsche Ihnen viel Glück, Lucinda. Ich bedauere Sie, weil ich mehr als jeder andere weiß, welche Gefühle Sie ihm entgegenbringen.«
Lucy stand starr, den Blick aus dem Fenster gerichtet, bis Raine das Zimmer verlassen hatte.
Einen Tag nach Raines Abreise war Lucy voller Zuversicht, dass es nicht lange dauern würde, bis ihr Eheleben wieder in harmonischen Bahnen verlaufen würde. Wie vor Heath Krankheit besuchte das Ehepaar die Sonntagsmesse und plauderte hinterher mit Freunden und Bekannten, die sie lange nicht gesehen hatten. Mit seiner Religiosität war es nicht weit her und Lucy gelang es nur mit einiger Überredungskunst, Heath zu bewegen, sie in den Gottesdienst zu begleiten. Als die Besucher aus der Backsteinkirche an der Arlington Street
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